Neukirchen-Vluyn Das Dorf nimmt Abschied

Neukirchen-Vluyn · Gestern ist die Neukirchener Friedenseiche gefällt worden. Viele Menschen verfolgten die Aktion. Die Pflanzung eines neuen Baums wird schon geplant.

Neukirchen-Vluyn: Das Dorf nimmt Abschied
Foto: ""

Weltkriege, Wirtschaftskrisen, der Zusammenbruch von Nationen und der Neubeginn - die vergangenen 144 Jahre hatten es wahrlich in sich. Die Friedenseiche in Neukirchen-Vluyn, die 1872 gepflanzt wurde, hat das alles überstanden. Doch gestern schlug ihre Stunde. Ein Pilz hat den Baumveteran besiegt. Ein Baumdienst aus Essen rückte an, um die Eiche zu fällen. Viele Neukirchener waren gekommen, um hinter den Absperrungen Abschied zu nehmen. Fotoapparate wurden gezückt, Handys hochgehalten, als die Fachleute mit schwerem Gerät anrückten, um die Krone zu lichten und den Stamm Stück für Stück abzutragen. Dafür war die Andreas-Bräm-Straße teilweise gesperrt werden.

Stefan Kallen, der Leiter des Baubetriebshofes, war vor Ort, um die Arbeiten zu verfolgen, aber auch, um für Fragen von Bürgern bereit zu stehen. Denn viele hatten auf die Nachricht mit Unverständnis reagiert. Schließlich wirkte der Baum äußerlich wie das blühende Leben. In den sozialen Netzwerken machten sich viele Kritiker Luft. "Zwei Bürger haben mich auch angerufen", berichtet Kallen. "Ich habe mich mit ihnen zusammengesetzt und erklärt, warum die Eiche gefällt werden muss." Die Schalltomografie-Untersuchungen zeigten deutlich, dass die Krone und der Bereich über der Wurzel so schwer vom Pilz befallen sind, dass der Baum ein Sicherheitsrisiko geworden sei. "Manche Leute behaupten, wir würden den Baum nur fällen lassen, weil die Pflege Geld kostet", sagt Kallen und schüttelt den Kopf. "Was wirklich kostet, ist die Fällaktion."

 Oben: Der Stamm der Eiche wird gefällt. Unten links: Ein Foto aus den 1930er-Jahren. Rechts: Jakob Averdonk wurde am 4. November 1838 in Neukirchen geboren und pflanzte die Eiche am 22. März 1872.

Oben: Der Stamm der Eiche wird gefällt. Unten links: Ein Foto aus den 1930er-Jahren. Rechts: Jakob Averdonk wurde am 4. November 1838 in Neukirchen geboren und pflanzte die Eiche am 22. März 1872.

Foto: Reichwein, van Rechtern (2)

Die Aussagen der Stadt akzeptiert auch Hans-Peter Burs, der Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins Neukirchen, obwohl ihm, wie den meisten Einwohnern, das Aus für den Baum herzlich leidtut. Doch die Heimatfreunde wollen nach vorn schauen. An Ort und Stelle soll ein neuer Baum gepflanzt werden. "Vielleicht schon am Samstag, wir sind darüber in Gesprächen mit dem Landesbetrieb Straßenbau", sagt Burs. Der Landesbetrieb hatte bereits signalisiert, dass es eine Neupflanzung geben sollte. "Und es soll schon etwas Größeres sein, kein schmales Bäumchen", versichert Burs. Wenn es nach ihm geht, soll der Baum auch wieder "Friedenseiche" heißen. Die Zeiten seien leider danach. "Es gibt doch so viele Kriege in der Welt. Wir brauchen Zeichen des Friedens."

Das muss sich auch Jakob Averdonk gedacht haben, als er am 22. März 1872 die Friedenseiche pflanzte. Er hatte die Feldzüge der Jahre 1860, 1866 und 1870/71 mitgemacht und war jedes Mal wieder heimgekehrt. Die Pflanzung sei ein Zeichen der Dankbarkeit gewesen, berichtet Fritz von Rechtern, der uns die historischen Fotos zur Verfügung gestellt hat. "Meine Quelle ist das Buch ,Unsere Veteranen', das 1915 im Kreis Moers erschienen ist. Mein Großvater mütterlicherseits war darin ebenfalls verzeichnet, weil er im Deutsch-französischen Krieg 1870/71 gekämpft hatte", sagt der Inhaber einer Offset-Druckerei an der Niederrheinallee.

Neukirchen-Vluyn: Das Dorf nimmt Abschied
Foto: Christoph Reichwein (crei)

Weil der Baum für viele Bewohner so viel Heimatgeschichte verkörpert, soll er nicht ganz verloren gehen. Eigentlich hat die Firma, die den Baum fällt, das Recht auf seine Weiterverwertung. Doch nun hat der Heimat- und Verkehrsverein sich das Recht an dem Stamm gesichert. Dieser soll in Scheiben gesägt und dann an Interessierte verkauft werden. Und von denen gibt es bereits genug. "50 Personen haben sich schon gemeldet", sagt Hans-Dieter Tendick. Der Neukirchener Pumpenmeister hatte die Idee, das historische Holz auf diese Weise in viele Neukirchener Haushalte zu bringen. So hätte die Friedenseiche doch noch ein reiches Nachleben. Doch Tendicks Überlegungen gehen noch weiter: "Mit dem Erlös könnten wir an mehreren Stellen weitere Friedensbäume anpflanzen, so dass eine Art Route entsteht."

(s-g)
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