Heimat erleben in Neukirchen-Vluyn Beheimatet in Vluyn - zuhause in Europa

Neukirchen-Vluyn · Seit mehr als 26 Jahren pendelt der Europaabgeordnete und Landwirt Karl-Heinz Florenz zwischen seinem Hof, Groß Opholt, und den EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg. Zum Entspannen wirft Florenz gerne den Trecker an.

/ Europa Geographisch gesehen liegt der Mittelpunkt der Europäischen Union südlich der A 5 auf einer Wiese im fränkischen Westengrund. Fragt man in Neukirchen-Vluyn nach der Mitte Europas, dürften wohl zwei von drei Befragten auf ein Gehöft südlich der A 40 verweisen. Dort wohnt, man könnte auch sagen residiert, Karl-Heinz Florenz, der am morgigen Donnerstag seinen 68. Geburtstag feiern wird. Der Landwirt hat das Kunststück geschafft, nicht weniger als sechs Mal in Folge für seinen Niederrhein ins Europäische Parlament gewählt zu werden.

Wie nahe hier am Niederrhein Bodenständiges und Internationales beieinander liegen, kann nirgendwo so gut beobachtet werden wie auf dem stattlichen Gut Groß Opholt, Heimat der Familie Florenz seit vielen Generationen. Dem Landwirt und Europaabgeordneten Florenz geht es gut, aber er hat nicht vergessen, wie hart die Generationen vor ihm für die wirtschaftliche Sicherheit der gegenwärtigen Generation Florenz haben arbeiten müssen.

Karl-Heinz Florenz auf seinem Gut "Groß Opholt".

Karl-Heinz Florenz auf seinem Gut "Groß Opholt".

Foto: Klaus Dieker

Das stattliche Haupthaus des Guts mit der schweren Bronzetafel über dem Eingang, die auf die Gründung des Guts im Jahre 1835 erinnert, täuscht darüber hinweg, dass Landwirtschaft auf den lehmigen Böden der Umgebung alles andere als ein Vergnügen war. Die Besitzer des Guts, Seidenfabrikanten aus Krefeld, hatten denn auch bald keine Freude mehr an ihrem Anwesen. 1875 holten die damaligen Besitzer schließlich einen Pächter aus dem katholischen Marienbaum ins preußisch-protestantische Vluyn. Es war der erste Florenz auf Groß Opholt. Erst Jahre später erwarb der Urgroßvater von Karl-Heinz Florenz den Hof für die stattliche Summe von 90 .000 Reichsmarkt. Ein Erbe, an dem noch Generationen zu tragen hatten. "Ich bin der erste Florenz, der seinen Hof ohne Schulden übernommen hat", sagt der Hausherr. Möglich war das, weil die Familie zusammengehalten und über Generationen hinweg eher spartanisch als feudal gelebt hat. Das Zusammenrücken auf dem Hof wurde wohl auch deshalb zur zweiten Natur der Familie, weil sie als Katholiken eher am Rande des Dorflebens standen. Erst 1957 durfte der erste Florenz auf dem Vluyner Friedhof beerdigt werden.

Diese Familiengeschichte erklärt wahrscheinlich auch, warum es den jungen Florenz zur CDU trieb und warum dort sein Talent auffiel, widerstreitende Interessen miteinander zu vereinbaren. Als politische Ziehväter nennt Florenz den Außenpolitiker Karl Lamers und den liberal-konservativen Cheftheoretiker Kurt Biedenkopf.

Nach einigen Jahren im Rat der Stadt Neukirchen-Vluyn wählten die CDU-Delegierten Florenz schließlich am 3. Oktober 1988 in Mönchengladbach zu ihrem Europa-Kandidaten. Kurz darauf gewann er seine erste Europa-Wahl.

"Ich habe in all der Zeit nie auch nur eine Sekunde daran gedacht, meinen Hof zu verpachten", sagt Florenz. "Dazu fühle ich eine viel zu tiefe Verbundenheit mit meiner Heimat."

Auch wenn er ab dem Donnerstagabend jede Woche wieder aus Brüssel oder Straßburg nach Hause zurückkommt, musste der Abgeordnete viele der Hofgeschäfte Frau und Mitarbeitern überlassen. Zudem packten Mutter und Schwester mit an.

Er erinnert sich noch genau an seinen ersten Oktober in Brüssel: "Das war schon nicht einfach zu wissen, dass jetzt jemand anderes deinen Weizen aussät", sagt er. Auch zur Erntezeit verspürt Florenz, immer noch dieses merkwürdige Gefühl: "Wenn es ans Dreschen geht, kann es schon mal sein, dass ich etwas früher nach Hause komme."

Der 68-Jährige hat sich seit vielen Jahren einen Namen als Umweltexperte gemacht. Früh erkannte er die Bedeutung der grünen Bewegung. Aber er sah auch die Gefahren reformatorischen Überschwangs. Rückblickend sagt er: "Wir haben Vieles an guten Gesetzen durchgedrückt, aber auch manchen Unsinn verhinder."

Am schnellsten entspannt er sich vom Politik-Stress, wenn er sich zu Hause auf einen seiner historischen Lanz-Bulldog-Oldtimer setzten kann, die er in unzähligen Arbeitsstunden restauriert hat. "Wenn meine Frau spürt, dass ich so leicht kribitzig bin, dann sagt sie schon mal zu mir: ,Geh erst mal ne Stunde Trecker fahren.'" Aber auch auf der eigenen Scholle ist Europa immer ganz nah. An seinem mächtigen Einzylinder-Zehnliter-Lanz weht stolz wie an einer Staatskarosse das blaue Banner der Europäischen Union.

(RP)
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