Nettetal Von der Demo gleich zum Sprachkursus

Nettetal · Etwa zwei Dutzend junge Flüchtlinge zogen gestern vor das Rathaus. Sie warten seit vielen Monaten darauf, endlich befragt zu werden und eine Perspektive zu erhalten. In der Stadtverwaltung kann aber niemand helfen.

 Seit Monaten warten die jungen Männer auf ihren "Interview"-Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Seit Monaten warten die jungen Männer auf ihren "Interview"-Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Foto: Stadt Nettetal

Irgendwann haben sie allen Mut zusammengenommen uns sich ein Herz gefasst. Etwa zwei Dutzend junger Flüchtlinge demonstrierte am gestrigen Morgen vor dem Rathaus in Lobberich. "Danke Deutschland" und "Danke Merkel" stand auf großen Zetteln, die die jungen Männer hochhielten. Auf kleineren Zetteln stand aber auch: "Hilfe!!" und "Wann das Gericht?" Mit ihrer Aktion, die auf das unabsehbar lange Asylverfahren aufmerksam machen sollte, stießen die Flüchtlinge auf Sympathien im Rathaus, auch wenn man dort für Asylverfahren nicht zuständig ist.

"Fünf Monate warte ich, habe noch nicht einmal einen Termin", erläuterte ein junger Syrer seine Motivation, vor dem Rathaus zu demonstrieren. Andere Asylbewerber nickten und fügten hinzu: "Bin ich schon acht Monate hier, habe ich noch keinen Termin für ein Interview vor Gericht." Da konnte ein junger Mann aus Somalia nur bitter lächeln: "Fünfzehn Monate warte ich, fünfzehn Monate!"

Fünf oder fünfzehn Monate - seit ihrer Ankunft in Flüchtlingsunterkünften fühlen sich die jungen Leute gut aufgenommen und gut betreut. Sie sind dankbar, hadern aber mit dem Prozedere des Asylverfahrens: Bis über ihren Asylantrag entschieden sei, daure es endlos lange. Das ist eine Zeit, die ihre Sorgen nicht verringern um eine ungewisse Zukunft, um das Schicksal ihrer Familien im Heimatland.

Geduldig hörte sich Ina Prümen-Schmitz die Anliegen der Demonstranten an. "Sie wissen, dass wir die falschen Ansprechpartner sind", erklärte die Leiterin des Fachbereichs Soziales. Die Stadt sei für die Unterbringung und Versorgung zuständig, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für das Asylverfahren. Die hohe Zahl der Flüchtlinge und der geringe Personalbestand im BAMF führten zu Verzögerungen. Das schien den meisten Flüchtlingen klar, "aber wen sollen wir sonst ansprechen", meinte ein Demonstrant schulterzuckend.

Bei ihrer Registrierung in Deutschland erhielten die Flüchtlinge eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung. Bis es zur Anhörung und zur Entscheidung über den Asylantrag komme, vergingen "mitunter bis zu achtzehn Monate", erläuterte die Sprachlehrerin eines Deutschkurses, aus dem manche der Demonstranten nach Lobberich kamen.

"Diese Ungewissheit ist natürlich nur schwer erträglich", kommentierte auch Bürgermeister Christian Wagner, als er von der Demo erfuhr. In der Stadt kümmere man sich "mithilfe vieler ehrenamtlich engagierter Bürger" um die Flüchtlinge, lerne sie kennen - und habe "Verständnis für ihre Ungeduld". Mittlerweile spiele deshalb in den Kommunen bei der Versorgung der Flüchtlinge nicht nur Organisation und Logistik eine Rolle, sondern auch Einfühlungsvermögen, ja Psychologie.

Nach einer dramatischen, meist gefährlichen Flucht stelle sich bei Asylbewerbern nach der Ankunft in Deutschland "oft eine Euphorie ein, endlich in Sicherheit zu sein", schilderte Wagner Erkenntnisse von Beratungen beim jüngsten Städtetag. Nach einiger Zeit indes entstehe bei vielen Flüchtlingen "ein Gefühl der Leere": Sie bemühten sich um Integration, doch ihr Asylverfahren ziehe sich hin. "Die Stimmungslage kann man durchaus verstehen", so Wagner.

Was der Bürgermeister skizzierte, bestätigten Demonstranten: Sie seien gut untergebracht, nette Leute kümmerten sich um alles, berichtete ein junger Syrer. In den Hütten von Union Nettetal beispielsweise seien aber so viele Flüchtlinge zusammen, die alle warten müssten und nicht wüssten, was werde. Da kämen Spannung untereinander und Ungeduld auf. Er sorge sich, "ob das lange gut geht".

Gestern gipfelte die Ungeduld in der spontanen Idee zur Demonstration vor dem Rathaus. Das erforderte bei den Beteiligten einigen Mut: Sie hätten vor der Aktion untereinander viel diskutiert, in Syrien sei solche Demonstration gefährlich, in Deutschland jedoch nicht. Ganz wohl in ihrer Haut fühlten sich manche Flüchtlinge wohl nicht, jedenfalls wollten sie ihre Namen lieber nicht nennen: Freiheit sei eben noch gewöhnungsbedürftig. Dafür zogen sie nach der Demo zügig und friedlich ab, um ihren Beitrag zur Integration zu leisten: "Wir wollen pünktlich beim Deutschkursus sein."

(jobu)
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