Nettetal Schüler sprechen über seelische Erkrankungen

Nettetal · Er kann wieder lachen, sogar offen über seine Erfahrungen reden: "Ich war selbst schon in der Psychiatrie", erzählt der Realschüler. Seine Klassenkameraden reagieren verlegen: "Davon haben wir nichts mitbekommen." Lediglich Aaliyah meint: "Man hat wohl geahnt, dass bei dir was nicht gut lief." Dass die Schüler so unverkrampft über psychische Erkrankungen sprechen können, liegt am Projekttag "Verrückt? Na und!" der achten Klassen an den weiterführenden Schulen in Nettetal. Beteiligte und Schulleiter treffen sich zum Erfahrungsaustausch.

 Achtklässler sprechen mit Kerstin Seidel (r.) über ihre Erfahrungen.

Achtklässler sprechen mit Kerstin Seidel (r.) über ihre Erfahrungen.

Foto: jobu

"Wir haben gar nicht gewusst, was es alles für Krankheiten gibt, wie etwa Borderline", gibt Sean zu. Mitschüler Dennis ergänzt: "Und manchmal kriegt man gar nicht mit, dass einer vielleicht an Selbstmord denkt." Die anderen in der Klasse nicken, sie würden "jetzt vielleicht wohl eher merken, wenn es anderen oder einem selbst nicht gut geht", sagen sie. Dabei haben sie am frühen Morgen noch über "diesen Psychokram" geulkt und gekichert.

"Uns geht es darum, aufzuklären, psychische Erkrankungen zu ent-stigmatisieren, den Blick dafür zu schärfen und Möglichkeiten der Hilfe aufzuzeigen", erklärt Kerstin Seidel vom Sozialpsychiatrischen Zentrum der Awo in Lobberich, federführend fürs Projekt "Verrückt? Na und!" im Kreis Viersen. Die Sozialpädagogin hat Erfahrung darin, was in Kinderseelen vor sich gehen kann, ist sie doch auch verantwortlich für "Felix - Netzwerk für Kinder psychisch kranker Eltern". Mit ihren Kollegen bringt sie Achtklässlern der weiterführenden Schulen durch Gespräche, Gruppenarbeit, Rollenspiele die Thematik nahe.

Wie sinnvoll Aufklärung ist, schildert Realschulleiter Joachim Sczyrba an einem konkreten Fall: "Wir Lehrer erleben Schüler nur im Unterricht. Wie sollen wir da merken, was in den Kindern vorgeht? Wie etwa bei einem Schüler, der seine Mutter zuhause erhängt auffand?" Umso wichtiger sei das Projekt für Schüler, Lehrer, Schulsozialarbeiter. Was auch Sczyrbas Kollegen so sehen: "Eine bemerkenswert gute Sache!", lobt Ingrid Krause von der Hauptschule. Gesamtschulleiterin Angelika Eller-Hofmann ist sicher: "Die Schüler nehmen für ihr Leben was mit."

Seidel betont, dass Schüler "ganz authentisch Menschen kennenlernen und erleben, die selbst von psychischen Krankheiten betroffen sind". So outet sich in der letzten Runde eines Projekttages ein Experte als jemand, der es geschafft habe, mit seiner psychischen Erkrankung zu leben. Schüler wie Dennis, Aaliyah oder Sean sind jedenfalls beeindruckt: "Das ist schon der Hammer!" In "echt guten Gesprächen" habe man jedoch gemerkt, dass sich auch psychische Krankheiten heilen oder zumindest in den Griff bekommen lassen, sagen die Schüler.

Genau das ist der Ansatz von Seidels Team: "Wir wollen zeigen, welche Auswege, welche Hilfen es gibt", sagt er. Die Schüler bekommen deshalb einen "Erste-Hilfe-Koffer" mit Tipps und Kontaktmöglichkeiten für den Fall, dass jemand bei sich oder anderen Auffälligkeiten entdeckt". Seidel: "Ich habe schon erste Anrufe von Schülern gehabt."

Darum hoffe man, das Projekt im kommenden Schuljahr fortzuführen. Doch dazu bedarf es an Sponsoren. Im abgelaufenen Schuljahr ist das Projekt von der Nettetaler Sparkassenstiftung unterstützt worden. Nun wird für das kommende Schuljahr ein Förderer gesucht.

Das Projekt "Verrückt? Nah und? Seelisch fit in Schule und Ausbildung", initiiert und getragen vom Verein "Irrsinnig Menschlich" in Leipzig, wird in Deutschland und einigen Nachbarländern durchgeführt. Im Kreis Viersen sind die Awo, Psychiatrische Hilfsgemeinschaft, Familienhilfe Niederrhein und In Via Krefeld beteiligt.

(jobu)
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