Nettetal Ritterlich gegen rüde Umgangsformen

Nettetal · Antigewalt-Trainer Jirka Bükow bringt Kindern an der katholischen Grundschule Lobberich höfische Manieren bei. Dabei greift er bewusst auf mittelalterliche Tugenden und Verhaltensweisen zurück.

 Jirka Bükow vermittelt Kindern "historische Manier- und Benimmkunde" und sorgt als "Heiler" dafür, dass es keine "Verletzten" gibt.

Jirka Bükow vermittelt Kindern "historische Manier- und Benimmkunde" und sorgt als "Heiler" dafür, dass es keine "Verletzten" gibt.

Foto: Wyglenda

"Wohlan, die Herren begrüßen die Damen", fordert Jirka Bükow die 24 Kinder vor sich auf. Alle erheben sich vom Boden der Turnhalle. Die Jungs sehen zu ihren Mitschülerinnen herüber und machen einen Knicks. Das ist kein ungewohntes Bild mehr an der katholischen Grundschule Lobberich. Denn Ritter Bükow kommt mit seiner "Historische Manier- und Benimmkunde" inzwischen seit acht Jahren an die Schule am See. Stets mittelalterlich gewandet, stets höfisch höflich, bringt er Viertklässlern den respektvollen und achtsamen Umgang miteinander bei.

Vier Trainingseinheiten à 90 Minuten sind pro Klasse anberaumt. In der ersten Einheit ging es um das Mittelalter an sich, den historischen Kontext und was höfisches Verhalten bedeutet. "Das Mittelalter ist keine willkürlich genommene Zeit, vielmehr wurden schon damals Zivilcourage und der respektvolle Umgang gefordert", erklärt Bükow. "Im 12. Jahrhundert wurde etwa ein Erlass aufgegeben, nach dem jedem Hilfe gewährt werden musste, der Hilfe brauchte." Ein gewisses Maß an Bescheidenheit, Rücksichtnahme und Gastfreundlichkeit waren höfische Tugenden.

Verinnerlich haben die Kinder sie in der zweiten Einheit, beim gemeinsamen Speisen. "Dabei ging es nicht darum, was, sondern wie im Mittelalter gespeist wurde", sagt Bükow. Statt sich einfach "den Bauch vollzuschlagen", sollten Kinder mal dem Sitznachbarn ein Brot schmieren, der Mitschülerin ein Kompliment machen und in der Runde die Getränke auffüllen. "Es ist wichtig, dass Kinder lernen, sich füreinander zu interessieren", erklärt der Trainer. "Man merkt, dass zurzeit bei Kindern Toleranz und Geduld immer kleiner werden." Bei Bükow ließen sich die Viertklässler 45 Minuten Zeit, um sich gegenseitig zu bewirten und zu verwöhnen.

Nicht nur Schulleiterin Susanne Dückers ist begeistert. Die Übungen halte sie für "einen großer Gewinn für die Klassengemeinschaft". Auch die Kinder haben Spaß: "Wir lernen viel über das Mittelalter und Ritterlichkeit. Das ist richtig spannend", sagt Mads König (9). "Ich fand es erst seltsam, dass ein Ritter kommt, aber jetzt finde ich die Zeit total interessant. Ich weiß jetzt auch, wie eine Dame richtig sitzt", ergänzt Franziska Böcken (9) und richtet sich gerade auf.

Auf die dritte Einheit freuen sich die Kinder. Sie üben das "gesellige Leibringen", wie Bükow sagt. Dieser 500 Jahre alte Sport wurde entwickelt, um nicht gegeneinander, sondern miteinander zu ringen. "Es geht darum, dass die Kinder lernen, die Kontrolle über sich zu halten, aufeinander Acht zu geben und Grenzen zu respektieren", erklärt der Trainer. Darüber hinaus lernen die Kinder, sich zu verteidigen, ohne dem Gegenüber wehzutun. "Das macht richtig Spaß", betont Mads.

Gewaltprävention ist Bükows wichtigstes Anliegen mit der "Benimm- und Manierkunde". Er ist ausgebildeter Trainer und Therapeut für systemische Gewaltprävention und arbeitet sonst mit auffällig gewordenen Jugendlichen in der Justiz zusammen. "Dann ist es aber eigentlich schon zu spät. Wir müssen viel früher bei den Kindern ansetzen", betont er.

Zum Abschluss gibt es noch ein Raubritterspiel. Auch dabei stehen das Miteinander und das gegenseitige Helfen im Fokus. Ist ein Kind vom Raubritter "verwundet" worden, dürfen die Mitschüler zur Hilfe eilen und den Verletzten zum Heiler Bükow bringen. Danach geht's zurück ins Spiel. "Die Kinder genießen die nonverbale Botschaft", sagt der Therapeut. "Man signalisiert seinem Gegenüber: Ich bin bei dir, ich helfe dir und halte dich fest - auch in Not."

(RP)
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