Nettetal In schlechten Zeiten Textilien über die Grenze geschmuggelt

Nettetal · Das Textilmuseum "Die Scheune" zeigt in einer Sonderausstellung religiöse Textilien, die am Niederrhein eine Bedeutung hatten.

 Die besondere Rolle gerade auch im religiösen Leben, die Textilien zugewiesen wurde, diskutierten Besucher der Sonderausstellung.

Die besondere Rolle gerade auch im religiösen Leben, die Textilien zugewiesen wurde, diskutierten Besucher der Sonderausstellung.

Foto: Busch

"Aber Brautkleider sind doch eigentlich weiß?", fragt Julian seine Mutter. Ungläubig schaut der Zehnjährige auf ein schwarzes Kleid zwischen Webstühlen und Handspindeln. Auf einem Schild steht, dass es ein Brautkleid ist. "Die haben sich bestimmt vertan", vermutet Julian stirnrunzelnd.

Das Textilmuseum "Die Scheune" präsentiert religiöse Textilien, die den Menschen am Niederrhein von Geburt bis hin zum Tode durch das Leben führen. Viele Kleidungsstücke haben bis heute eine religiöse Bedeutung und Tradition. Doch im Laufe der Zeit haben sich die Textilien natürlich verändert. "Früher waren die meisten Menschen arm. Deswegen hatten sie nur ein Kleid für alle festlichen Anlässe. Es war schwarz", erklärt die Leiterin des Textilmuseums, Birgit Lienen. Das erste weiße Hochzeitskleid trug Königin Victoria zur Hochzeit im Jahre 1840. Bis in die 1930er-Jahren wurde am Niederrhein in Schwarz geheiratet. "Heutzutage sprechen sich Trends binnen kürzester Zeit herum. Damals hat es etwa 90 Jahre gedauert, bis sich das weiße Brautkleid bis zu uns herumgesprochen hatte", berichtet Lienen. Für die weißen Brautkleider fehlte vor allem in der Nachkriegszeit oft der Stoff. Da Kinder an den Zonengrenzen nicht so gründlich kontrolliert wurden, schmuggelten sie den kostbaren Stoff häufig. Rainer Lorenz erinnert sich. Sein Vater handelte mit Textilien. Auch die nahe Verwandtschaft im niederländischen Limburg vertrieb Webwaren. So war der junge Rainer oft für den Austausch zuständig. "Der Stoff wurde mir eng um den Bauch gebunden. Dann zog ich mein Hemd darüber und spazierte über die Grenze".

Zur Hochzeit bekam das Brautpaar weitere Kleidung geschenkt. Es war durchaus üblich, Eheleuten bereits Totengewänder für sich und ihre Kinder zu schenken. "Das klingt heute sehr makaber. Doch damals war die Kindersterberate sehr hoch", erklärt Birgit Lienen. Daher war es wichtig, Säuglinge möglichst schnell nach der Geburt zu taufen. Ein Aberglaube besagte, dass böse Feen die Seelen ungetaufter Kinder stehlen. Auch für die Taufe gab es ein spezielles Gewand. Nach der Hochzeit schneiderte die Braut aus ihrem Schleier ein Taufkleid. "Durch Weberhand sind dir bereit die Windel und das Sterbekleid", fasst Museumsgründer Walter Tillmann die Sonderausstellung zusammen. Von Geburt bis hin zum Tode begleitet spezielle Kleidung Menschen durch wichtige religiöse Lebensstationen. Auch wenn sich die Farbe des Brautkleides vielleicht noch einmal ändert.

(mat)
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