Nettetal Im Porträt sich selbst erkennen

Nettetal · Eine Woche lang fertigte der Maler und Psychologe Matthias Schlüter im Atelier van Eyk Porträts der Menschen, die zu ihm kamen. Eine Möglichkeit für eine neue Auseinandersetzung mit sich selbst.

 Der prüfende Blick Matthias Schlüters geht zurück zum Modell. Er fertigt ein Porträt von Christel aus den Niederlanden in kleinen, schnellen Strichen.

Der prüfende Blick Matthias Schlüters geht zurück zum Modell. Er fertigt ein Porträt von Christel aus den Niederlanden in kleinen, schnellen Strichen.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Langsam freunde ich mich mit dem Bild der Frau auf der Papiertüte an. Wäre auch gut, schließlich ist es mein eigenes Konterfei, das die gebrauchte braune Tüte schmückt. Ob es mir ähnelt? Nicht im fotografischen Sinne, nein, vielleicht eher als Idee meiner Person. Aber der Reihe nach: eine Woche lang hat der Maler und Psychologe Matthias Schlüter im Atelier van Eyk in Leuth verbracht und von den Menschen, die zu ihm kamen, ein Porträt angefertigt. Nicht, um ein fotografisches Bildnis zu schaffen, sondern um einen emotionalen und gedanklichen Prozess in Gang zu setzen.

 Modell Christel ist ganz gelassen und beobachtet genau, was der Maler tut.

Modell Christel ist ganz gelassen und beobachtet genau, was der Maler tut.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Matthias Schlüter aus Cremlingen hat Kunstpädagogik an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und Diplompsychologie an der Universität Braunschweig studiert. Hauptberuflich arbeitet in einer sozialpsychologischen Praxis für Kinder und Jugendliche. Seit einer Aktionswoche in Emmerich im Jahr 2003, während der er Menschen porträtierte und die Bildnisse im Kunstverein Emmerich ausstellte, malt Schlüter immer wieder Porträts. Wilhelmina Spolders lernte ihn kennen und lud ihn ins Atelier van Eyk ein. Schlüter interessiert vor allem der Prozess, der in "der Beteiligung zwischen dem Maler, dem zu Malenden und den Umstehenden" stattfindet in den 30 Minuten, in denen das Bild entsteht.

Es ist zunächst ein mulmiges Gefühl, neben dem Maler vor der Leinwand zu sitzen und ihm zuzuschauen, wie er seine Farben vorbereitet. Wie ich wohl auf der Leinwand aussehen werde? Wie Schlüter mich malen wird? Wie wird das Ergebnis sein? Was wird das Porträt von mir preisgeben?

Schlüter interessiert als Porträtmaler, was ein Gesicht zeigt. Was es möglicherweise auch genau dann zeigt, wenn es etwas zu verbergen versucht. Dass viele Menschen sich von ihm malen lassen, ist ein Zeichen für die Sehnsucht der Menschen, einmal wirklich und ehrlich angeblickt, gesehen zu werden.

Schnell entsteht die Kontur meines Gesichtes, die Augen, die Brille, mein Mund. Farbe wird aufgetragen, wieder und wieder übermalt, kleine schnelle Striche mit Kreiden gesetzt, der Hintergrund in Grün angelegt.

Während der Woche im Atelier van Eyk hat Schlüter auf auseinandergefalteten Kartons gemalt, die ein ungewöhnliches Format bilden. Sie lassen sich zusammenfalten: ein zweidimensionales Bild wird zur Skulptur. Daneben bilden Papiereinkaufstüten die Grundlage de Bilder. Mein Bild ist fertig. Älter komme ich mir vor. Einen kritischen Mund hab ich. Meine Augenpartie, so die Beobachterin Wilhelmina Spolders, sei ein Ebenbild meiner jüngeren Tochter - kein Wunder: Wovon das Herz voll ist, da läuft auch das Auge von über.

Schlüter fertigt mittlerweile das nächste Porträt an. Cristel aus den Niederlanden hat bereits einmal beim Porträtieren zugeschaut, nun sitzt sie selber Modell. Sie hat keinerlei mulmige Gefühle. Selber Malerin, fühlt sie sich ganz gelassen und beobachtet genau, was Schlüter tut. Sie stellt fest, dass die Augen vieler Gemalten traurig schauen. Auch ihre, obwohl sie sich nicht traurig fühlt. Ein Stück von ihm selber, so Schlüter, stecke eben auch immer in den Bildern. Ein Beweis der Interaktion zwischen Maler und Gemalter. Ein weiteres Modell findet: "So hab ich mich noch nie gesehen, wie Sie mich gesehen haben."

Die Porträts sind keine therapeutische Maßnahme. Schlüter offenbart keine Geheimnisse in seinen Bildern, aber er eröffnet den Gemalten neben einem besonderen Erlebnis die Möglichkeit einer neuen Auseinandersetzung mit sich selbst.

(b-r)
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