Nettetal Faszinierend: Wie ein Griesgram gütig wird

Nettetal · Die Premiere von Dickens' Weihnachtsgeschichte, die das Theater unterm Dach in der Alten Kirche zeigt, gefielt durch Atmosphäre und Intensität

Nettetal: Faszinierend: Wie ein Griesgram gütig wird
Foto: j. Knappe

Am schlimmsten ist das Ende. Einfach, weil es das Ende ist. Weil danach nichts mehr kommt. Außer Rührung und Ergriffensein, außer tosendem Beifall und Bravo-Rufen. Dabei hätte man es gern länger erlebt, das Bühnenstück "Eine Weihnachtsgeschichte" nach Charles Dickens, das das Theater unterm Dach seit Freitag an fünf ausverkauften Abenden in der Alten Kirche in Lobberich zeigt.

Da sitzt er also, grauhaarig und griesgrämig: Scrooge. Taucht die Feder ins Tintenfass und schreibt, grummelt und brummelt, mault jeden an, der ihm "Fröhliche Weihnachten" wünscht, seinen Angestellten, die Spendensammlerinnen, sogar seinen Neffen: "Welches Recht hast du, fröhlich zu sein?" Nein, bei so einem würde man nicht mal ein Buch kaufen.

"Humbug" nennt Scrooge alles, was mit Weihnachten zu tun hat, mit Gefühlen, mit Nächstenliebe. Fabelhaft gespielt von Fabian Matussek. Er gibt den Unsympathen, später den Verzweifelten - man möchte aufstehen, ihm erst die Leviten lesen und ihn dann tröstend umarmen. Zuschauer als Zeugen, die mitfühlen, mitbangen.

Es ist genau diese Nähe zum Publikum, die den Schauspielern so viel abverlangt: Jede falsche Geste wird gnadenlos registriert.

Doch es ist so gut wie nichts zu registrieren, was nicht gelänge bei dieser Aufführung, die auch von ihrer Inszenierung lebt, von der Atmosphäre in dieser Kirche, für die Ewigkeit gebaut zu sein scheint und deren verwittertes Gemäuer doch zugleich von Vergänglichkeit zeugt. Das Theater unterm Dach hat sein Stück genau für sie inszeniert. Düster der lichtlose Raum, schaurig, wenn plötzlich ein Lichtspot erst die Heiligenfiguren im Altarraum aufblitzen und verschwinden lässt, bedrohlich, wenn eine dunkle Geisterstimme drohend dröhnt: "Scrooooge!"

Moderne Technik lässt dieses Stück von Charles Dickens aus dem 19. Jahrhundert, vielfach verfilmt, zeitgemäß wirken. Die Botschaft von der Bekehrung des mürrischen Miesepeters wirkt für sich, darum ist es richtig, Bühne, Kostüme und Requisiten (Dieter Fackendahl) im altenglischen Stil zu belassen. So kann Scrooge den Einsamen geben, der nach dem Tod seines Kompagnons und Freundes Jacob Marley verbittert geworden ist. Und eben Marley erscheint ihm als erster Geist, großartig gespielt von Tausendsassa Axel Dammer, der auch Regie führt und als Erzähler spricht. Die drei Geister der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht bekehren den Griesgram, indem sie ihm sein Schicksal und das seiner Mitmenschen vor Augen führen: Ärmlich, erbärmlich wird alles enden, wird er enden, wenn er sich nicht ändert. Und es wendet sich, er ändert sich, wird seinen Mitmenschen zum Mitmensch.

Zu sehen, zu erleben gibt es prächtiges Theater. Kaum ein Versprecher, und wen stört es schon, dass mal ein Stuhl wackelt, ein Tuch verrutscht, ein Buch falsch herum aufgeblättert wird? Geschenkt.

Besser als die Premiere am Freitag können die Folgeabende nicht gelingen.

(jobu)
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