Nettetal Erinnerungen an die Osterfeste in Damaskus

Nettetal · Die syrische Journalistin Abir Shaker floh mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg aus Damaskus nach Schaag. Bei ihrem ersten Osterfest in Deutschland kommen wehmütige Erinnerungen an die Bräuche der Heimat auf.

 Vater Moufak Chaker, seine Frau Buchra Asoul und Tochter Abir Shaker zeigen Ikonen. Die syrisch-orthodoxe Familie floh aus Damaskus, als die Bombeneinschläger näher kamen. Heute lebt die Familie in Schaag.

Vater Moufak Chaker, seine Frau Buchra Asoul und Tochter Abir Shaker zeigen Ikonen. Die syrisch-orthodoxe Familie floh aus Damaskus, als die Bombeneinschläger näher kamen. Heute lebt die Familie in Schaag.

Foto: Burghardt

Frohe Ostern? "Ach, wir wissen noch nicht, wie Ostern abläuft, es ist alles so neu, aber wir wollen auf jeden Fall das Fest feiern", sagt Abir Shaker leise. Die junge Frau ist mit ihren Eltern erst seit ein paar Monaten in Deutschland. Die Familie stammt aus Syriens Hautstadt Damaskus und lebt nun in Schaag. Für die Familie ist Ostern in diesem Jahr auch ein Fest der Erinnerungen - an lieb gewordene und schmerzlich vermisste österliche Traditionen in ihrer Heimat.

"Ostern feiern wir sonst in Damaskus immer mit allen Verwandten", erzählt Abir. Mit ihrer Mutter und ihrem Vater sitzt sie im Wohnzimmer ihrer Schwester Aliaa Solimann, die schon seit etlichen Jahren in Deutschland verheiratet ist. Als kleine Familie feiern sie hier Ostern, während sie früher in Damaskus im großen Kreis der Verwandten zusammen kamen. Und das schon zu Beginn der Karwoche.

"Der Palmsonntag ist für uns ein ganz besonderer Tag, alle tragen Weiß. Als Palmen haben wir Olivenzweige", sagt Vater Moufak Chaker, der bedächtig spricht. Sein Blick hat etwas von Güte, aber auch von Wehmut. Er nickt und schließt die Augen, als denke er zurück an das letzte Osterfest in Damaskus.

Die Karwoche, auch heilige Woche genannt, bilde den Auftakt für die Fastentage, fährt er dann fort. Zu den liturgischen Bräuchen der Heimat gehören Umzüge und Darstellungen biblischer Szenen. "Aus Obst, Getreide und Gemüse, also aus allem, was aus der Erde wächst, bereiten wir dann die Speisen am Anfang der Woche", schildert Mutter Buchra Asoul. Die Frau mit den großen Augen und der Kreuzkette trägt nicht den Nachnamen ihres Mannes: "In Syrien behalten Mädchen bei der Heirat ihren Namen."

Am Karfreitag werden süß-saure Bällchen kredenzt, "weil der Herr Jesus am Kreuz einem Schwamm voll Essig gereicht bekam". Nach der Fastenwoche ganz ohne Fleisch gibt es am Ostermorgen laut Buchra Asoul "süße Reismilch"; so will es die Tradition orientalischer Christen. Moufak Chaker und seine Familie gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an. "Aber wo eine Kirche ist, geht man rein, betet und singt, egal ob katholisch oder orthodox", sagt Moufak Chaker. Da es in Nettetal keine orthodoxe Gemeinde gibt, besucht die Familie sonntags die Kirche St. Anna in Schaag.

Gewöhnungsbedürftig seien hier die vielen Lieder mit Orgelbegleitung: "Zuhause singen wir auch im Gottesdienst, aber nicht so viele Strophen", meint Vater Chaker; allerdings sei die heilige Messe "viel, viel kürzer" als der orthodoxe Gottesdienst. Dass die Orthodoxen ihren Ostertermin eigentlich zeitversetzt von den westlichen Kirchen feiern, falle da nicht ins Gewicht: "Wir sind eben jetzt in Deutschland", sagt er.

Als in Damaskus die Bombeneinschläge immer näher kamen, war ein Bleiben nicht mehr möglich: "Eines Morgens lag unser Büro in Schutt und Asche", berichtet Abir Shaker. Die 28-jährige studierte Journalistin hatte fürs Internationale Rote Kreuz gearbeitet. Ihre Schwester Aliia nahm die Familie in Schaag auf. Abir und ihre Mutter sprechen schon recht gut Deutsch. Abir stockt beim Erzählen, schaut Richtung Fenster, presst die Hände aneinander, holt tief Luft und sagt dann: "Ich möchte gern wieder als Journalistin und fürs Rote Kreuz arbeiten, wenn ich richtig Deutsch kann." Nicht nur die Arbeit fehle ihr, auch das "social life": Daheim in Damaskus habe sie nach Feierabend immer Freunde treffen können, hier am Rande von Schaag sei zwar alles schön ländlich, aber auch einsam. Umso mehr zähle die Familie - erst recht an einem Feiertag wie Ostern. Von den Osterbräuchen in Deutschland ist manches der syrischen Familie gar nicht so fremd. Das Osterfeuer indes kennen sie nicht: "Wir haben stattdessen ein Feuer am Fest der Kreuzerhöhung", klärt Abir auf. Das Fest der Kreuzerhöhung am 14. September gehört zu den zwölf Hauptfesten der Orthodoxie.

Ostereier hingen sind ihnen vertraut: "Wir haben immer viele Eier", sagt Moufak Chaker lächelnd. Die Eier werden am Karfreitag gekocht, rot gefärbt und im Ostergottesdienst gesegnet. Seine Frau ergänzt: "Aber in Syrien suchen die Kinder keine Eier, sondern gehen von Haus zu Haus und lassen sich Eier schenken." Mit vielen kunstvoll bemalten Eiern ist auch die Wohnung ihrer Tochter Aliaa geschmückt. Zwischen bunten Sträußen stehen orthodoxe Bilder: "Ikonen sind für uns sehr wichtig." Eier, Blumen und Ikonen stimmen ein aufs Osterfest:

"Wir wollen gern Speisen aus der Heimat kochen", sagt Buchra Asoul; die Zutaten gebe es in Geschäften etwa in Mönchengladbach. Vielleicht fahren sie auch nach Köln, wo es eine syrisch-orthodoxe Gemeinde gibt - ein Stückchen Heimat, etwas Vertrautes, das täte sicherlich gut. "Zum Feiern ist uns ja eigentlich nicht zumute, wenn wir an unsere Verwandten und Freunde in Damaskus denken, wo Bürgerkrieg herrscht", gibt Abir Shaker zu. Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Ihre Mutter blickt zu Boden, der Vater hat wieder die Augen geschlossen. Doch dann sagt Abir mit fester Stimme: "Aber es ist Ostern, das ist uns sehr wichtig, weil Jesus aufgestanden ist." Der Glaube an die Auferstehung mache Mut, dass es irgendwie weitergehe. Und so lächelt die junge Frau wieder, wünscht auf Arabisch: "Feseh Magied!" Ja, Frohe Ostern!

(jobu)
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