Serie Vor 460 Jahren Ein Reichsfürst aus Lobberich

Viersen · Reiner von Bocholtz wurde 1555 Fürstabt von Corvey. Etliche Bocholtz hatten hohe Ämter im Benediktinerorden.

Im vergangenen Monat war das im 9. Jahrhundert gegründete Kloster Corvey an der Weser in aller Munde. Es wurde zum Weltkulturerbe der Unesco erklärt. Da bietet es sich an, eine Phase seiner Geschichte in Erinnerung zu bringen, die von einem Adeligen aus Lobberich geprägt wurde: von Fürstabt Reiner von Bocholtz. Die Bedeutung der am Niederrhein einst begüterten und einflussreichen, im hohen Mittelalter erstmals genannten Familie von Bocholtz ist in den letzten Jahrzehnten durch eine Reihe von bemerkenswerten, bestens recherchierten Publikationen aus der Feder von Dr. Theo Optendrenk angemessen ausgeleuchtet worden. In und bei Lobberich erinnern die Reste der Burg Bocholtz und die Burg Ingenhoven heute als letzte bauliche Zeugnisse an dieses Adelsgeschlecht und seine Bedeutung für Lobberich und den Niederrhein.

Das Geschlecht derer von Bocholtz hat eine lange Reihe bedeutender Persönlichkeiten hervorgebracht, insbesondere hochrangige Mitglieder des Ordens der Benediktiner. Ihre Biographien hat Optendrenk minutiös verfolgt. Der Namhafteste war Reiner von Bocholtz aus der Linie von Ingenhoven. Er wurde 1555 an die Spitze des Klosters Corvey gewählt. Zu Reiner von Bocholtz' Zeit war der Abt des Klosters Corvey Reichsfürst, also reichsunmittelbar. Das heißt: zwischen ihm und dem Kaiser gab es keine hierarchische Zwischenstufe mehr, über Reiner von Bocholtz gab es nur noch den Kaiser. Als Fürstabt konnte er zum Beispiel eigene Münzen prägen lassen, was Reiner übrigens auch tat.

Wie Reiner stammte sein Onkel Aegidius von Bocholtz, der von 1505 bis 1538, also in den beiden ersten Jahrzehnten der Reformation Abt des Klosters St. Vitus in Gladbach war, aus der Linie zu Ingenhoven. In dieser Position war Aegidius auch für Kempen eine sehr wichtige Instanz, denn die Pfarrei Kempen unterstand dem Kloster in Gladbach, sie war inkorporiert.

Dem Aegidius folgte Petrus von Bocholtz als Abt nach. Schon Aegidius' Onkel Wilhelm von Bocholtz war im späten 15. Jahrhundert Abt von St. Panthaleon in Köln gewesen. Reiner von Bocholtz trat 1548 ins Gladbacher Kloster ein, das ihm auch sein Studium in Köln finanzierte. Von Gladbach führte dann 1555 sein Weg auf den Fürstabtstuhl von Corvey. Für Lobberich und insbesondere für die Familie von Bocholtz besonders bedeutungsvoll war es, dass sich Fürstabt Reiner von Bocholtz 1581 erfolgreich für die Freilassung des Jelis von Bocholtz aus der Haft in Venlo einsetzte, die er nach der spektakulären Eroberung der Burg Ingenhoven an Karfreitag 1581 erlitt.

Mit gewichtigen Argumenten ist Optendrenk der Mutmaßung entgegengetreten, Reiner von Bocholtz habe mit der lutherischen Konfession sympathisiert. Obwohl sich die beiden Schutzmächte der Abtei, die Landgrafen von Hessen und die Herzöge von Braunschweig, sowie die benachbarte Stadt Höxter der Reformation anschlossen, und das Kloster sich in dieser Hinsicht in einem schwierigen Umfeld befand, findet er es ganz und gar unpassend, "das biblische Bild vom haltlos im Wind schwankenden Rohr auf Reiner von Bocholtz anzuwenden". Jedenfalls rühmt ihn die Corveyer Chronik von 1604 unter anderem als einen "Beförderer gelehrter Leute und Antiquitäten, in Chroniken und Historien erfahren, ein fleißiger Hausvater und guter Baumann. Er hat das Stift allenthalben verbessert." In der Äbtegalerie von Corvey befindet sich ein - allerdings nicht zeitgenössisches Porträt - Reiners. Unter dem Bild liest man, dass er "e ducatu Geldriae ortus", also aus dem Herzogtum Geldern, stammte. Wer heute den Ingenhovenpark in Lobberich betritt, passiert die Reste des Tores von 1700 mit den drei Leopardenköpfen, dem Wappen derer von Bocholtz. Es ist auch im Corveyer Abtssiegel Reiners zu sehen, das die Umschrift trägt: "Sigillum Reneri Abbatis Corbiensis". Eine Corveyer Münze, die Reiner schlagen ließ, zeigt auf der Vorderseite seinen Namen und sein Leopardenwappen, auf der Rückseite den Namen des Kaisers Ferdinand I. (1556-1564).

LITERATUR: THEO OPTDENDRENK: ROHR IM WINDE ODER FELS IN DER BRANDUNG? REINER VON BOCHOLTZ, FÜRSTABT VON CORVEY 1555-1585. IN: LOBBERICH. EIN KIRCHSPIEL AN DER NETTE, S. 105-113.

(prof)
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