Nettetal Der Schuss änderte nicht nur die Kirche

Nettetal · Die alte Lobbericher Pfarrkirche wurde gegen Ende der 1960er-Jahre ein Gegenpol zur Protestbewegung der Jugend. Sie gab Jugendlichen neuen Raum und Entfaltungsmöglichkeiten. Mit dem Förderverein wird diese Tradition fortgesetzt.

 Gottesdienst mit Kaplan Günther Klussmeier 1969.

Gottesdienst mit Kaplan Günther Klussmeier 1969.

Foto: Busch

Im März 1945 schlug eine Granate in eine Seitenwand der alten Lobbericher Pfarrkirche ein. Der Schuss setzte im Ort dem Krieg ein Ende. Die Menschen hatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit andere Sorgen als die, ihre ohnehin nur noch zweitrangige Ursprungs-kirche wieder in Ordnung zubringen. Es gab eine notdürftige Reparatur, damit hatte es sich — vorerst. Man hatte die Ende des 19. Jahrhunderts errichtete "neue" Pfarrkirche, und die reichte aus.

Es dauerte mehr als zwanzig Jahre, ehe sich in Lobberich wieder das Interesse verstärkt der alten Pfarrkirche zwischen Rathaus und Burg Ingenhoven mit Park, an dessen Rand sie steht, zuwandte. In seinem Aufsatz "Er brachte den Stein ins Rollen" erinnert der im Juni gestorbene Pfarrer Günter Klussmeier an die Aufbruchstimmung jener Jahre. Angestoßen hatte sie maßgeblich der spätere Pfarrer Klaus Dors, dem der Aufsatz in dem jüngst erschienenen Buch "Klaus Dors — ein geistliches Leben mit den Menschen" gewidmet ist.

Der damalige Kaplan Klussmeier erinnert sich an zwei Ereignisse jener Zeit, "die uns damals in Bewegung brachten und elektrisierten. Das eine war die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, vorangetrieben von der Jugend beider Länder und dokumentiert in vielen Städtepartnerschaften. Das andere waren die Auswirkungen der Studentenunruhen. Anfangs getrieben von der Frage, was die Väter und Großväter zwischen 1933 und 1945 getan hatten, radikalisierten sich Gruppen bis in die linksextreme Szene, verbunden mit Forderungen nach einem scharfen Wertewandel — auch als Antwort auf die Unwilligkeit der älteren Generation, sich ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen."

Die "Aktion Jugendforum" sollte in Lobberich ein Gegengewicht gegen beispielsweise den "Republikanischen Club" dort bilden — eine Organisation, die hoffnungslos in ihrer Wirkung überschätzt wurde, aber dazu ausreichte, die Erwachsenen aufzuschrecken. Über Kontakte zur "Jongeren Kerk" in Venlo, die jahrzehntelang hielten, entwickelten sich die Jugendgottesdienste in der Alten Kirche.

Gemeinsam hatten Jugendliche aus Lobberich und aus Caudebec-en-Caux diese Kirche von Schutt geräumt und weitgehend wieder in Ordnung gebracht. Die Zerstörungen durch Kriegseinwirkung und wetterbedingte Einflüsse auf Putz und Mauerwerk wurden nicht beseitigt. Klussmeier berichtet, dass Erwin Verführt und Martin Schiffer im Juni 1969 einen Altar mauerten, an dem am 6. Juni 1969 erstmals eine Jugendmesse gefeiert wurde — mit enormer Wirkung.

Es entwickelte sich eine eigene Institution mit Jugendchor für regelmäßige Gottesdienste in der Alten Kirche, die auch die aufgeregte Zeit der "68er" überdauerte. "Diese Gottesdienste sind ein Segen für unsere Jugendlichen geworden", zitiert Günter Klussmeier Eltern. "Wenn ich nun zurückschaue, so kann ich nur staunen. Staunen darüber, dass sich der Einsatz und Eifer für diese Gottesdienste fast 45 Jahre durchgehalten hat", schreibt Klussmeier, der in diesem Zusammenhang vor allem das Engagement der Familie Hauertz in Lobberich hervorhebt.

Das Bauwerk selbst wurde sogar erst 40 Jahre nach dem Treffer durch das Artilleriegeschoss richtig saniert. Rund eine Million Mark steckte die Denkmalpflege in die behutsame Restaurierung. "Man kann in diesem Raum anhand der authentischen Spuren wie in einem Geschichtsbuch lesen", meinte Denkmalpfleger Michael Scholz vom Bischöflichen Generalvikariat vor mehr als zehn Jahren, als das Ergebnis jahrelanger Arbeiten vorgestellt wurde.

Danach jedoch wuchs in Lobberich die Sorge, dass dem Bistum Aachen von zwei Kirchen in der Pfarre St. Sebastian eine zu viel werden könnte. Vorsorglich überlegten einige Lobbericher, wie sie ihre Alte Kirche dauerhaft auch über solche Probleme hinweg erhalten könnten. Die Rettungstat wurde eine typisch deutsche Lösung: Gegründet wurde der als gemeinnützig anerkannte Förderverein Alte Kirche. "Wir wollen die Alte Kirche erhalten, denn sie ist ein Stück Lobberich", betonte der Vorsitzende Stefan Hauertz vor knapp einem Jahr.

Gleichzeitig legt der Verein ein mit Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand abgestimmtes neues Nutzungskonzept unter dem Leitmotiv "Gott — Mensch — Kirche" vor. Neben kirchlichen Veranstaltungen mit "zeitgemäßen Gottesdienstformen" soll die Kirche ein "Ort für besondere kulturelle Ereignisse" werden. Die Idee, hier Theater, Lesungen, Konzerte, Ausstellungen zu organisieren, wurde nicht nur umgesetzt, sondern findet steigende Aufmerksamkeit. Der Theologie Bastian Rütten koordiniert die mitunter gewöhnungsbedürftigen und manchmal außerordentlichen Aktivitäten in der Alten Kirche. Dazu wurde die technische Ausstattung mit Licht und Lautsprecheranlage modernisiert.

Es gibt regelmäßige Gottesdienste, immer am ersten Sonntag im Monat um 18 Uhr. "Wir wollen nicht fromme Leute gewinnen, sondern Kirche auch anders erfahrbar machen — als Raum der Kultur", erklärte Rütten bei der Vorstellung des Konzepts "Alte Kirche — Gott — Mensch — Kultur". Es knüpft an die Ursprünge der Bewegung "Alte Kirche" in den 1960er-Jahren an, bietet "jungen und jung gebliebenen Menschen" einen Raum und will "damit positiven (eventuell zufälligen) Kontakt zu Kirche ermöglichen." Ziel ist es, die "drei Brennpunkte des Konzepts Gott — Mensch — Kultur in einen Dialog bringen und Raum für Begegnungen ermöglichen. www.alte-kirche.info

(RP)
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