Nettetal Der Fernsehpionier vom Niederrhein

Nettetal · Siegfried Nootz senior aus Kaldenkirchen baute 1951 einen Fernseher und übertrug als Erster in seinem Schaufenster TV-Sendungen. Dutzende Bürger sahen zu. Heute wäre der Radiomechaniker 100 Jahre alt geworden

 Siegfried Nootz in seinem Laden, umgeben von Fernsehapparaten und Radios. Das Foto entstand Ende der 1970er-Jahre.

Siegfried Nootz in seinem Laden, umgeben von Fernsehapparaten und Radios. Das Foto entstand Ende der 1970er-Jahre.

Foto: jobu

Rudelgucken war in Kaldenkirchen schon angesagt, als noch niemand hierzulande von "Public Viewing" sprach: "Dutzende Menschen schauten zu, und wir Kinder drückten uns an der Scheibe die Nasen platt", erinnert sich der Kaldenkirchener Helmut Töpfer (79) an den Herbst 1951. Damals wurde im Schaufenster an der Mühlenstraße 2 eine Fernsehsendung aus den Niederlanden gezeigt - auf einem Fernsehempfänger, den Siegfried Nootz selbst gebaut hatte. Damit wurde der Radiomechaniker zum Fernsehpionier am Niederrhein, denn sonst gab's weit und breit noch keine empfangstüchtigen Apparate. Am heutigen Dienstag, 21. November, wäre der im Jahr 2000 verstorbene Nootz 100 Jahre alt geworden.

"Außer in den Werkstätten von Radio-Loewe in Düsseldorf dürfte in ganz Nordrhein-Westfalen noch kein Fernsehempfänger in Betrieb sein", hob die Rheinische Post in ihrem Bericht vom 5. Oktober 1951 hervor. Es sei deshalb "nicht verwunderlich", dass der Nootzsche Apparat "die Kaldenkirchener unwiderstehlich anzog". Der Physiker und Radiomechaniker war seiner Zeit voraus und machte aus der Not eine Tugend: Weil einzelne Bauteile für einen funktionstüchtigen Apparat in Deutschland kaum erhältlich waren, experimentierte und tüftelte er mit anderen Materialien - mit Erfolg.

Nootz stammte aus Boitzenburg in Brandenburg, studierte in Berlin Physik, was seine Zeitgenossen nicht verwunderte, hatte er doch schon als Schüler Spaß am Experimentieren. Manche Tüftelei geriet bei ihm zum Streich, etwa mit Fotoapparaten, dabei fotografierte er heimlich seinen Chemie- und Biologielehrer und schob ihm eine Vergrößerung des Bildes bei einem Lichtbildervortrag unter: Als der Lehrer den Schülern Urmenschen zeigen wollte, erschien sein eigenes Konterfei "in Überlebensgröße auf der Leinwand", notierte der Schüler.

"Ja, Siegfried Nootz war ein sehr humorvoller Mensch, auch wenn er oft in sich gekehrt zu sein schien, aber dass er technisch beschlagen war, das hatten wir schnell mitbekommen", sagt der Kaldenkirchener Historiker Leo Peters. Nootz' Fernsehsensation von 1951 hat Peters in seinem zweiten Band der "Geschichte der Stadt Kaldenkirchen" vermerkt. Denn den Radiomechaniker hatten die Nachkriegswirren 1946 in die damalige Grenzstadt verschlagen, wo er heimisch wurde, an der Mühlenstraße, der heutigen Poensgenstraße, sein Radiogeschäft aufbaute und später an der Grenzwalstraße 2 neu eröffnete.

Nootz' Fertigkeiten sprachen sich herum: "Der Regisseur Axel von Ambesser drehte im Jahr 1956 einen Fernsehbeitrag über meinen Vater, leider habe ich die Sendung nie gesehen", sagt Siegfried Nootz junior (59), der seit 1988 das Geschäft führt. Aus Berichten in der Familie wisse er, dass 1951 und in den Folgejahren "Techniker der damals führenden Werke wie Philips, Loewe oder Mende zu ihm kamen und sich für ihn und seinen selbst gebauten Fernseher interessierten". Nootz senior, der laut seinem Sohn in Werkstatt und Laden immer einen blauen Kittel trug, hätte Karriere machen können in einer der Firmen, doch er "war ein bodenständiger Familienmensch und sollte vor allem lieber selbstständig bleiben, seine Freiheit haben".

Legendär sind auch Nootz' selbstgebaute Radios, in die er Röhren und anderen Technikschrott, den die Alliierten nach dem Truppenabzug im Wald zurückgelassen hatten, einbaute und auch gegen Eier und Butter verkaufte, erzählt sein Sohn. Vom ersten Fernseher existieren nur noch Teile des Innenlebens, auch die Oszillographenröhre, die Nootz einbaute, weil die übliche Braunsche Röhre nicht erhältlich war.

Dazu fertigte Nootz eine Spezialantenne, um den nächst gelegenen Sender empfangen zu können - der war über 100 Kilometer entfernt in der niederländischen Provinz Utrecht. "Ach, was für eine Sendung da in Schwarz-weiß über den Bildschirm flimmerte, das konnten wir in dem Gedränge vor der Schaufensterscheibe eh kaum erkennen", sagt Töpfer heute. "Das war uns egal, aufregend war es allemal."

(jobu)
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