Nettetal Der Bootsbauer vom Bahnhof

Nettetal · Jörn Niederländer hat sich auf Holzboote spezialisiert und restauriert auch historische Schiffsbauten für Museen. Seine Werft hat er an der Bahnhofstraße, nachdem ihn die Stadt aus dem heutigen Gewerbegebiet Venete vertrieb

 Jörn Niederländer in seiner Werkstatt: Seine Holzboote und seine Expertise sind bundesweit gefragt.

Jörn Niederländer in seiner Werkstatt: Seine Holzboote und seine Expertise sind bundesweit gefragt.

Foto: jobu

Über den Bahndamm und über die Brücke hinterm Gebäude rattern Züge, daneben Radler auf dem Alleenradweg, vor dem großen Tor auf der anderen Seite brettern Autos. Und mittendrin, zwischen Schienen, Radweg und Straße, steht eine große Halle: "Wir bauen und reparieren Holzboote", klärt Jörn Niederländer auf. Sein Name prangt auf dem stählernen Rahmen des riesigen Flaschenzugs unter der Hallendecke: "Bootswerft Niederländer".

Eine Werft mitten in Kaldenkirchen am Bahnhof, weitab vom nächsten Hafen? "Für den Bau und die Reparatur von Booten brauchen wir keinen direkten Zugang zum Wasser", sagt Niederländer. Es dauere oft Monate, bis so ein Dinghy, eine Jolle oder ein Schärenkreuzer fertig und fahrbereit sei. Und manches seiner Werke lande nie im Wasser, sondern in Museen, Ausstellungen oder auf Theaterbühnen. Zu den Spezialitäten des 60-Jährigen gehören nämlich historische Schiffsbauten. Weshalb es ganz gut passt, dass außen an der Halle noch immer der Schriftzug "Antik" steht vom vorherigen Inhaber.

Ein schmuckes weißes Kielboot der Drachen-Klasse, zuletzt auf der Messe "boot" in Düsseldorf ausgestellt, wartet auf einen Käufer. Am anderen Ende der Werft steht aufgebockt ein eleganter Segler, dessen Rumpf repariert werden muss: Gerade vermisst ein junger Mitarbeiter die Plankenlänge mit Zirkel und Zollstock. Niederländer hat dem begabten Flüchtling nach Rücksprache mit den Behörden einen Job angeboten: "Bei uns in der Innung und in der Handwerkskammer bemühen wir uns so weit wie möglich, Flüchtlingen Praktikumsplätze oder mehr zu bieten."

Ob Mitarbeiter oder Meister - Bootsbauen ist Handwerk. Sägen, hobeln, schleifen, harte Arbeit, und in der Werft ist es trotz des offenen Tores warm, Niederländer wischt sich den Schweiß von der Stirn und schmunzelt: "Zum Ausgleich ist es in der Halle im Winter recht kühl."

Allerdings sei er froh und dem Besitzer dankbar, dass er das Gebäude nutzen könne. Denn vor vier Jahren, und Niederländer verhehlt seinen Groll nicht, wurde er vom ursprünglichen Standort An der Kleinbahn "von der Stadt Nettetal vertrieben": Seine Werft, zugeben ein schon älteres Gebäude, musste damals Platz machen für das neue Gewerbegebiet Venete.

"Man sagte mir, ich würde potenzielle Investoren abschrecken", erinnert sich Niederländer und schüttelt den Kopf: "Unsere Werft ist weg, aber getan hat sich in Venete seitdem so gut wie nix." Dass die Stadt Nettetal und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Viersen (WFG) damals einen der renommiertesten Bootsbauer vergraulten, darum macht der Kaldenkirchener kein Aufhebens: "Ich baue und repariere ja nur Holzboote."

Dabei sind von ihm in Zusammenarbeit mit Archäologen und Historikern rekonstruierte oder reparierte historische Schiffsbauten zum Beispiel im Römermuseum Xanten, im Rheinischen Landesmuseum Bonn, in Duisburg im Museum der Deutschen Binnenschifffahrt sowie im Kindermuseum Atlantis zu sehen. Auch mit Künstlern wie Christiane Möbus arbeitet Niederländer zusammen für Ausstellungen - unter anderem in Berlin und Hannover. Daneben baut er Boote als Requisiten für Bühne und Film, so für die Oper Frankfurt; Bestseller-Autor Frank Schätzing ist in der ZDF-Reihe "Terra X" mit einem Boot von Niederländer zu sehen. Holzboote aus Kaldenkirchen sind also begehrt. Zwischenzeitlich suchte Niederländer zwar nach einem Standort außerhalb Nettetals, eigentlich jedoch möchte er lieber in der Seenstadt bleiben - obwohl man hier nicht gerade freundlich mit ihm umging. Langfristig könne er sich "Miete, Kauf oder Bau" einer etwas größeren, als Werft geeigneten Halle vorstellen. Aber vorläufig bleibt Jörn Niederländer in der Halle an der Bahnhofstraße und baut Holzboote, während draußen Züge, Räder und Autos vorbeifahren.

(RP)
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