Nettetal Autor Politycki erklärt, warum Reise und Rückkehr das Glück sind

Nettetal · Ein spannender Abend mit Autor Matthias Politycki und RP-Kulturredakteur Philipp Holstein beendete die Nettetaler Literaturtage. Erstmals gab es thematisch passende Lesungsorte

 Mit Humor, philosophischen Gedanken und Lebensweisheit gestalteten Schriftsteller Matthias Politycki (r.) und Philipp Holstein, Kulturredakteur der Rheinischen Post, einen unterhaltsamen Abschluss der Nettetaler Literaturtage.

Mit Humor, philosophischen Gedanken und Lebensweisheit gestalteten Schriftsteller Matthias Politycki (r.) und Philipp Holstein, Kulturredakteur der Rheinischen Post, einen unterhaltsamen Abschluss der Nettetaler Literaturtage.

Foto: F.H. Busch

Fünf Fragen hatte Philipp Holstein vorbereitet. Daraus entwickelte sich zwischen dem RP-Kulturredakteur und Autor Matthias Politycki ein facettenreicher Abend - mit Humor, philosophischen Gedanken, Lebensweisheit und einem Blick auf die angeblich so kleinen Dinge des Lebens. "Schrecklich schön und weit und wild" hat Politycki sein Buch genannt, das er zum Abschluss der zwölften Nettetaler Literaturtage in der Stadtbücherei vorstellte. Dass die Autorenlesung zum Gespräch geriet - dafür stand Philipp Holstein.

Geradezu provozierend war sein Einstieg mit einem Zitat des französischen Mathematikers, Physikers und Philosophen Blaise Pascal. Pascal hatte behauptet: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen." Da stutzte Holsteins Gegenüber. Schließlich reist Politycki seit mehr als 40 Jahren und hat in dieser Zeit 97 Länder kennengelernt. Als Romancier und Lyriker sagt er von sich: "Ich bin kein Reiseschriftsteller, sondern ein Autor, der reist." Später nannte er das Reisen ein "Lehrstück", um zu erfahren, wie begrenzt die Erkenntnisse wären, wenn man zuhause geblieben wäre. Von Holsteins Frage herausgefordert, betonte Politycki, er wolle nicht die Mentalitäten des Reisens und Daheimbleibens gegeneinander ausspielen. "Reisen und Rückkehr gehören zusammen. Beide zusammen sind das Glück", sagte der Vielgereiste. Er findet nichts Anrüchiges dabei, nach der Rückkehr "wieder ganz piefig zum Stammbäcker zu gehen". Auf die häufig diskutierte Frage, warum die meisten Menschen im Flugzeug entgegen jeder Gewohnheit Tomatensaft bestellen, fand Politycki eine treffende Antwort: "Wir beginnen beim Abflug ein bisschen anders zu sein, uns auszutesten und vielleicht Grenzen zu überschreiten. Das fängt ganz harmlos an. Warum nicht mit einem Glas Tomatensaft? Mit der Rückkehr tauchen wir wieder ein ins bürgerliche Ich".

Für die Lesung hatte der Autor vier Passagen ausgewählt. Die erste handelte von der Mär des leichten Gepäcks, das der passionierte Reisende anscheinend ebenso wenig packen kann wie die meisten. Er las auch von der Erkenntnis, dass seelisches Gepäck nicht zurückgelassen werden kann. Mehrfach war das Scheitern in unbekannten Regionen Thema. Da ging es um Momente, von denen kaum einer erzählen mag, weil sie am Selbstbewusstsein nagen und dem Reisenden bewusst machen, dass er nicht so souverän reagiert, wie er es gerne wäre.

Der Autor stellte fest, dass das Reisen den Reisenden verändert in seinem Blick auf die Welt und das eigene Ich: "Wer reist, ist gefeit gegen Illusionieren und Verharmlosung des Fremden. Reisen ist eine politische Haltung, denn jede Form des anderswo Hinfahrens, öffnet Verstand und Herz." Er bekannte, dass er mit den Sehenswürdigkeiten anfange, um danach das zu erkunden, was sich dahinter verbirgt. "Es ist egal, wenn man sich beim Entdecken verläuft. Zurück kommt man immer", so Politycki. Er ist überzeugt, dass Unsicherheiten und Missverständnisse beim Ankommen in der Fremde kostbar sind, um wirklich offen zu sein. Der Autor bezeichnete sich als Kosmopolit ohne Interesse an einer "einheitlich durchgebürsteten globalisierten Welt": "Man muss heute viel weiterreisen, um in der fremden Fremde anzukommen." Er nannte die Flüchtlingskrise als eine andere Form des Unterwegsseins: "Ich war auf Reisen, wo es tagelang an Flüchtlingsströmen vorbeiging." Manche Ziele seien auch zu gefährlich geworden, wenn der Reisende nicht zum Kriegsberichterstatter werden wolle.

Hausherr Ulrich Schmitter, der das Programm mit dem Förderverein Nettetaler Literaturtage organisiert hatte, dankte beiden für einen "spannenden Abend". Er zog eine positive Bilanz der Literaturtage: "Fast alle Veranstaltungen waren ausverkauft." Die Besucher hätten das abwechslungsreiche Programm gelobt. "Wir hatten bei 13 Veranstaltungen eine Biologin, mit Stefan Orth einen Couchsurfer und mit Alina Herbing eine Debütantin auf dem Bauernhof dabei", so Schmitter. Für ihn sei das Lesekonzert "Nach Hause gehen - eine Heimatsuche" in der Alten Kirche ebenso ein Höhepunkt gewesen wie die Amüsier-Schau aus dem Berlin der 1920-er Jahre zur Eröffnung. Er zeigte sich überzeugt, dass die Wahl verschiedener Orte außerhalb der Stadtbibliothek "für die Veranstaltungen einen Anreiz bot".

(anw)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort