Moers Wie evangelisch ist die Moerser SPD?

Moers · Der ehemalige Bundesjustizminister und Präses der evangelischen Kirche in Deutschland, Jürgen Schmude, blickt zurück auf das wechselhafte Verhältnis zwischen Religion und Politik im Moers der Nachkriegszeit.

Moers: Wie evangelisch ist die Moerser SPD?
Foto: SPD / Florian Jaenicke

Ist es Zufall, dass das protestantische Moers so lange von evangelischen Sozialdemokaren im deutschen Bundestag vertreten wird? Kein Moerser wäre besser in der Lage, diese Frage zu beantworten, als Jürgen Schmude (80), ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter (1969 bis 1994) sowie Bildungs- und Justizminister unter Helmut Schmidt. Von 1985 bis 2003 bekleidete Schmude das Amt des Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Die meisten Sozialdemokraten, so Schmude im Gespräch mit unserer Redaktion, hätten in der Nachkriegszeit mit Religion, gleich ob evangelisch oder katholisch, recht wenig am Hut gehabt. Diese Einstellung änderte sich erst Ende der 50er Jahre. Mit Gustav Heinemann, dem ehemaligen Innenminister Adenauers und Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), trat 1957 einer der bekanntesten Vertreter evangelischen Glaubens der SPD bei. Und in seinem Gefolge fand auch der junge Jürgen Schmude zur SPD. Die geänderte Haltung der Sozialdemokratie zu den Konfessionen schlug sich schließlich auch im Godesberger Programm 1959 nieder. Christ und Sozialdemokrat sein - das war kein Widerspruch mehr.

Moers: Wie evangelisch ist die Moerser SPD?
Foto: SPD

In diesem zeitgeschichtlichen Biotop spielt Moers eine besondere Rolle. Denn dort begegneten sich zwei historische Linien: Da war zum einen die protestantische Enklave Moers, die 1560 offiziell zur "Augspurgischen Confession" übergetreten war und sich später als calvinistisch-reformierter Flecken in einem überwiegend katholischen Landstrich behauptete. Im 20. Jahrhundert kam in der Zechenstadt Moers der politische Einfluss der größtenteils sozialdemokratisch oder kommunistisch organisierten Arbeiterschaft hinzu. Diese Konstellation führte dazu, dass die Sozialdemokraten nach dem Krieg im Rat der Stadt Moers - mit Ausnahme der Kommunalwahl von 1999 - stets die Mehrheit hatten, während die kleineren katholischen Städte in der Umgebung in christdemokatischer Hand blieben.

Auch wenn die CDU auf Bundesebene immer wieder prominente Protestanten wie Ludwig Ehrhard oder Eugen Gerstenmaier hervorbrachte, haftete ihr doch lange Zeit der Ruf einer eher katholisch geprägten Partei an. Das lag, so erinnert sich Schmude, unter anderem an der Politik der katholischen Kirche: "Da gab es die Neue Bildpost. Das war ein in katholischen Kirchen vertriebenes Kampfblatt gegen die SPD. Zudem bezogen damals Hirtenworte der katholischen Bischöfe deutlich für die CDU und gegen andere Parteien Stellung." Insofern hätten sich manche protestantische Christen möglicherweise bei der SPD besser aufgehoben gefühlt.

Doch ungeachtet solcher politisch-religiöser Großwetterlagen habe es in Moers persönliche Freundschaften über parteiliche und konfessionelle Grenzen gegeben, zum Beispiel zwischen dem evangelischen Pfarrer Erich Vowe und dem katholischen Kaplan Peus. "Und sowohl in der SPD wie in der CDU gab es engagierte Menschen beider christlicher Konfessionen, die immer wieder hinterfragt haben, ob die Politik ihrer Partei noch christlichen Grundsätzen entspreche."

2002 brachte die Moerser SPD mit Siegmund Ehrmann wiederum einen bekennenden evangelischen Christen als Nachfolger Schmudes in den Bundestag. Und auch der Chef des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Moers, Rainer Tyrakowski-Freese, der im vergangenen Jahr verabschiedet wurde, war aktiver Sozialdemokrat.

Doch in dem Maße, in dem die Polarisierungen zwischen den beiden christlichen Konfessionen nachließen, verloren auch die Bezüge zwischen der Religionszugehörigkeit und der Politik an Bedeutung. Noch ist offen, welche Partei im September den Bundestagswahlkreis Wesel II gewinnen wird. Eines ist jedoch sicher: Die alten Zuordnungen stimmen nicht mehr: Die CDU hat mit Kerstin Radomski aus Krefeld eine Protestantin aufgestellt, für die SPD tritt mit Elke Buttkereit aus Vluyn eine Katholikin als Kandidatin an.

Die geschwundene Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit für die Parteienpräferenz zeigt noch eine andere Zahl: Zwar leben in Moers mit 34,2 Prozent immer noch mehr Protestanten als Katholiken (30,6 Prozent). 38,9 Prozent der Moerser gehören keiner der beiden großen christlichen Konfessionen mehr an.

Demnächst lesen Sie den zweiten Teil "Wie katholisch ist die CDU".

(RP)
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