Moers Wie ein Moerser Bürgermeister in Schwaben wurde

Moers · Vom Zollbeamten und Fitnesstrainer zum Gemeindechef: Kevin Wiest hat sein berufliches Glück in dem Dorf Oberstadion gefunden.

Moers: Wie ein Moerser Bürgermeister in Schwaben wurde
Foto: wiest

/ Oberstadion Es klingt härter als Kevin Wiest es meint. "Ich hoffe, dass ich nicht wieder nach Moers ziehe", sagt der 37-Jährige. Acht Jahre lang hat er in der Grafenstadt gewohnt - und sich dort wohlgefühlt. Jetzt hat er aber seine Koffer gepackt und ist nach Oberstadion gezogen, ein Dorf in Oberschwaben mit knapp 1600 Einwohnern. Sie haben Wiest mit überwältigender Mehrheit zu ihrem Bürgermeister gewählt. "Dass jemand bei fünf Gegenkandidaten 87 Prozent der Stimmen erhält, kommt nicht so oft vor", sagt Wiest mit berechtigtem Stolz. Für ihn hat sich mit der Wahl ein Lebenstraum erfüllt. "So wie andere Kinder Tierarzt oder Raumfahrer werden wollen, wollte ich immer Bürgermeister werden."

Wiest stammt aus Ulm. Seine Großeltern hatten in einem Dorf unweit von Oberstadion gelebt. An den Niederrhein hatte es den Zollbeamten aus beruflichen Gründen verschlagen. "Ich habe in Moers der Außenstelle des Zollamts gearbeitet." Später wechselte er nach Essen, behielt aber seine Wohnung an der Mercatorstraße in der Moerser Innenstadt. In seiner Freizeit betätigte sich der begeisterte Sportler als Fitnesstrainer im Aktiv-Sportpark Moers und war Mitglied im Lions Club. Dort hatte Wiest auch Kontakt zu Bürgermeister Christoph Fleischhauer. Dass er ebenfalls Ambitionen auf einen Bürgermeisterposten hatte, habe er aber nie an die große Glocke gehängt, sagt Wiest.

Sein Ziel verlor er aber nie aus den Augen. "Nach dem Abitur überlegte ich mir, dass ich als Bürgermeister mindestens um die 40 sein muss." Einer Partei schloss er sich bewusst nicht an, weil er überzeugt sei, dass ein Bürgermeister überparteilich handeln müsse. "In einer Partei ist man nicht frei." Klar sei es für ihn auch gewesen, dass er lieber Oberhaupt einer kleinen Gemeinde als einer Stadt sein wollte, am liebsten natürlich in seiner schwäbischen Heimat. "In einer Stadt hält der Bürgermeister ein paar Reden und hat für alles seine Leute. In Oberstadion bin ich jetzt der Ansprechpartner für jeden." Ein Vorbild für ihn sei Ivo Gönner, zwischen 1992 bis 2016 Bürgermeister von Ulm. "Er war Stammgast in einem Café, in dem ich gejobbt habe. Er hatte eine besondere Art, mit Menschen umzugehen, und nahm sich für jeden Zeit."

Dass in Oberstadion ein Verwaltungschef gesucht wurde, erfuhr Wiest in Moers durch einen Anruf aus der Gemeinde. Man war auf ihn aufmerksam geworden, als er bereits 2015 in der Gemeinde Schelklingen als Bürgermeister kandidiert hatte. "Nach drei Wochen Wahlkampf hatte ich dort über 20 Prozent der Stimmen geholt." Für den Einzug ins Rathaus reichte es damals noch nicht. Für den Wahlkampf in Oberstadion pendelte Wiest zehn Wochen lang 550 Kilometer zwischen dem Niederrhein und Schwaben. "Ich habe den Menschen nichts versprochen, was ich nicht halten kann. Und ich habe alle Leute ernst genommen", umreißt er sein Erfolgsrezept.

Da Mietwohnungen in Oberstadion so gut wie nicht vorhanden seien, hat sich Bürgermeister Wiest zunächst in einem Zimmer beim Pfarrer einquartiert. "Er ist, ähnlich wie wie der Bürgermeister, eine wichtige Person. Wir haben jetzt eine Männer-WG." Der Weg zu seinem Büro im Rathaus sei 30 Meter lang. Wiest ist gleichzeitig Feuerwehrchef, Vorsitzender des Grundschulverbandes und steht auch in der Verantwortung für das örtliche Krippenmuseum, das sogar internationales Publikum nach Oberstadion ziehe. "Meine Arbeitswoche hat zurzeit 50 bis 60, manchmal sogar 70 Stunden", sagt Wiest. "Aber ich gehe jeden Tag glücklich zur Arbeit und abends glücklicher heim." Er schätze die Liebenswürdigkeit der Menschen, die Lebensqualität im Süden der Republik, die Landschaft. "In einer Stunde bin ich am Bodensee oder im Allgäu." Oberstadion sei eine Oase der Glückseligkeit. "Im Jahr gibt es hier höchstens eine Hand voll Einbrüche."

Mindestens zwei oder drei, vielleicht auch vier Amtszeiten möchte Wiest Bürgermeister in Oberstadion bleiben. Damit hat er seinen Lebensplan bis zum Pensionsalter skizziert, denn eine Bürgermeister-Amtszeit dauert in Oberstadion acht Jahre. Und nun, da er seinen beruflichen Lebenstraum erreicht hat, denke er auch an die Gründung einer Familie. "Die Arbeit als Bürgermeister kann sehr familienbelastend sein. Aber eine Frau, die mich jetzt kennenlernt, weiß, worauf sie sich einlässt."

(RP)
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