Moers Vom Lehrer angezeigt

Moers · Die Moerser Familie Thoenes wurde von den Nazis in Konzentrationslager gesperrt. Die vom Arbeitskreis der Gedenkstätten herausgegebene Broschüre „12 Jahre – 12 Schicksale“ soll weiteres Licht ins Dunkel bringen.

„Ich appelliere an Ihre Menschlichkeit. Auch Sie hatten eine Mutter, die sie liebten, und so erwarte ich einige Zeilen von meiner geliebten Mutter, falls sie noch lebt und gesund ist!“ – Als Hans Thoenes aus Moers diese Zeilen 1937 verfasst, ist er zwölf Jahre alt und seine Mutter schon einige Monate im Konzentrationslager Moringen. Als Antwort erreichen ihn knappe zynische Zeilen des KZ-Direktors – der Mutter gehe es gut, sie habe Schreibverbot. Kurze Zeit später wird Hans Thoenes 13-jährig von der Moerser Schule aus in ein Erziehungsheim verschleppt, ohne jeden Kontakt zu seinen Eltern.

Die Verfolgungsgeschichte der Bibelforscher – die sich ab 1931 Zeugen Jehovas nennen – gehörte einst zu den vergessenen Kapiteln der NS-Zeit, zu groß waren auch in Forscherkreisen die Berührungsängste. In jüngerer Vergangenheit ist ein Wandel zu beobachten: Dissertationen und Forschungsprojekte geben Einblick in ihr Leiden im Dritten Reich. Die jetzt vorgestellte 40-seitige Broschüre „12 Jahre – 12 Schicksale“, herausgegeben vom Arbeitskreis der Gedenkstätten NRW, soll weiteres Licht ins Dunkel bringen und zeichnet als eine der zwölf Biografien das Schicksal der Moerser Familie Thoenes nach. „Wir wollen Schülern und anderen Interessierten einen empathischen Zugang mit regionalen Bezügen bieten“, erläutert der Gedenkstättenverbandsvorsitzende, Professor Dr. Alfons Kenkmann. Auf Spurensuche sollen die jungen Leute gehen, vor ihrer Haustüre die Erlebnisse ihrer damaligen Gleichaltrigen nachempfinden. Im heutigen Nordrhein-Westfalen können mehr als 2000 Verfolgte der Glaubensgemeinschaft nachgewiesen werden. Dabei steigerten sich die Repressalien von Jahr zu Jahr. Was zunächst mit der erzwungenen Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis begann, sich über Sorgerechtsentzüge fortsetzte fand seinen grausamen Höhepunkt in der Hinrichtung junger Kriegsdienstverweigerer.

In Konflikt kamen die Zeugen Jehovas mit dem NS-Staat schon sehr früh wegen ihres biblisch geprägten Weltbildes: Heil konnte nur von Gott kommen, der alleinige Führer war Jesus – deswegen glich der Hitlergruß einer ungebührlichen „Menschenverehrung“.

„Deutschen Gruß“ verweigert

Genau diese Verweigerung wurde Hans Thoenes zum Verhängnis: Durch die Anzeige seines Lehrers gelangte er in die Mühlen der Gestapo – das Amtsgericht Moers sprach den Eltern das Recht zur Erziehung des Sohnes ab, da „der Minderjährige dem Einfluss einer Eltern bereits erlegen“ sei. Er habe den „Deutschen Gruß“ verweigert, in einem Brief an seine Mutter Psalmtexte zitiert und sei in „hohem Maße sittlich und geistig verwahrlost in seiner Einstellung gegenüber dem Staat“. Seine Eltern Heinrich und Katharina Thoenes verbringen Jahre in verschiedenen KZ. Erst nach dem Kriegsende wird die dreiköpfige Familie im Frühjahr 1945 in Moers wieder vereint.

Hans Thoenes, der viele Jahre in Krefeld und zuletzt bei seiner Tochter in der Eifel lebte, blieb auch nach dem Krieg seinem Glauben treu. Er starb jetzt im Alter von 81 Jahren.

(RP)
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