Moers Premiere: Verwirrspiel um Amphitryon

Moers · Regisseur Matthias Schönfeldt bringt für das Schlosstheater einen modernen "Amphitryon" auf die Bühne. Die Inszenierung ist mit vielen humorigen Überraschungen gespickt, die über Kleist hinausgehen.

 Matthias Heße übernimmt eine Doppelrolle: Er spielt Sosias, den Diener Amphitryons, und Merkur, der seine Gestalt einnimmt.

Matthias Heße übernimmt eine Doppelrolle: Er spielt Sosias, den Diener Amphitryons, und Merkur, der seine Gestalt einnimmt.

Foto: Schlosstheater

Diese Kleist-Inszenierung spielt mit dem Unerwarteten: Regisseur Matthias Schönfeldt eröffnet seinen "Amphitryon" im Schloss nicht etwa theatral auf der Bühne, sondern mit einer Filmsequenz mit Thriller-Qualität und Popcorn-Atmosphäre: Matthias Heße hetzt als Sosias, Amphitryons Diener, durch das Unterholz des Schlossparks, mit unsichtbaren, unheimlichen Verfolgern im Nacken. Sie endet vor dem Schloss, in der Begegnung mit Merkur, der seine Gestalt angenommen hat, und mit der Frage: "Wer bin ich denn? Etwas muss ich doch sein?"

Es sind Identitätsfragen, die Heinrich von Kleist in der Tragikomödie Amphitryon bewegen, und Matthias Schönfeldt, der als Gast erstmals am Moerser Schlosstheater inszeniert, hat Kleists Herausforderung angenommen. Schwierigkeitsgrad: die Besetzung der Doppelrollen Amphitryon/Jupiter und Sosias/Merkur. Es gelingt, weil Schönfeldt sich des Mediums Film bedient. Sosias, der nach Theben zurückkehrt, um vom Sieg gegen die Athener und Amphitryons Rückkehr zu berichten, begegnet vorm Schloss seinem Doppelgänger. Merkur, der Götterbote, hat seine Gestalt angenommen und stellt sich ihm in den Weg.

Matthias Heße, der diese Doppelrolle übernommen hat, steht in der Inszenierung seinem filmischen Ich vor dem Schlosstor gegenüber und interagiert mit ihm. Ein spannender Einstieg in eine sehr heutige Inszenierung, die auch den Comic-Slang nicht scheut, wenn Merkur mit einem "Crash, Boom, Bang und Zack" auf den armen Sosias einprügelt. Es ist das Vorspiel zu der Tragikomödie, die sich alsbald hinter dem weißen Vorhang in drei Akten auf der Bühne weiter entrollt: Amphitryon (Frank Wickermann) kehrt aus dem Krieg zurück und muss erkennen, dass seine Frau Alkmene (Katja Stockhausen) die Nacht zuvor mit einem anderen verbracht hat. Er weiß nicht, dass es Jupiter war, der ihr in seiner Gestalt erschienen ist, als Geliebter, der von ihr nascht.

Gespiegelt wird das Verhältnis Amphitryon/Alkemene vom Gegenpart Sosias/Charis (Marissa Möller). Auf der Bühne im Schloss entspinnt sich ein verhängnisvolles Verwirrspiel, in der die Sicherheit um die eigene Identität und die des anderen immer stärker zu bröckeln beginnt. Gewissheiten werden in Frage gestellt. Sosias ist überzeugt, nicht er selbst zu sein. Und auch Alkmene glaubt, in Jupiter den echten Amphitryon zu erkennen. Oder doch nicht? Regisseur Matthias Schönfeldt löst im Lauf seiner Inszenierung die Grenzen zwischen dem Personal gänzlich auf. Ist es Amphitryon, den Frank Wickermann just in dem Moment gibt? Oder doch Jupiter, der sein böses Spiel mit den Menschen treibt? Der Regisseur lässt das Publikum mit diesen Fragen bewusst allein, um Verwirrung zu stiften und zuzuspitzen.

Der Bühnenraum, den Birgit Angele entwickelt hat, ist in Weiß gekleidet, Vorhänge öffnen und schließen sich. Wirklich vorhanden sind sie nicht, auch sie sind nur eine Illusion, die die Videokamera auf die Wände wirft. In der Mitte der Bühne liegt ein Berg Äpfel, ein Xylophon erklingt in unwirklichen Momenten, Gemurmel und Wortfetzen sind wie störende und irritierend Momente. Auf das berühmte "Ach" der Alkmene wartet man nicht übrigens vergebens. Es kommt ebenfalls unerwartet daher: Als weißer Schriftzug auf den Slips der Schauspielerinnen.

Schönfeldts Inszenierung kommt erfrischend modern und humorvoll daher. Sie dürfte Schulklassen mit dem Kleist'schen Klassiker versöhnen. Das Publikum erlebt auf jeden Fall einen Theaterabend, in dem das Theater sich selbst nicht ganz so ernst nimmt, sondern durch den Kakao zieht: Schauspieler Mattias Heße sitzt zum Beispiel zu Beginn des Stücks im Publikum und kommentiert den Vorspann, der auf der Leinwand abläuft. Als sein Name als Mitspieler erscheint, scherzt er plötzlich: "Den sehe ich gerne. Hoffentlich zieht der sich nicht wieder aus." Das Publikum schmunzelt.

(RP)
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