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Moers Flüchtlingsfamilie: "Niemand hilft uns"

Moers · Ahmad und Joudy S. fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen. Ihre Tochter ist sexuell missbraucht worden. Einen fachlichen Beistand habe man auf eigene Faust organisieren müssen, sagt das Ehepaar aus Syrien.

 Ahmad und Joudy S. wohnen mit ihrer Familie im Naturfreundehaus. Sie hoffen, bald eine eigene Wohnung beziehen zu können.

Ahmad und Joudy S. wohnen mit ihrer Familie im Naturfreundehaus. Sie hoffen, bald eine eigene Wohnung beziehen zu können.

Foto: Christoph Reichwein

Bei Ahmad (51) und Joudy (37) S. liegen die Nerven blank. Aus seiner Heimat Syrien ist das Ehepaar mit drei kleinen Kindern vor dem Krieg geflüchtet und nach langer, beschwerlicher Odyssee in Deutschland gestrandet. Dann der Schock: Kurz nach der Ankunft in einem Flüchtlingsheim in Höxter wurde ihre siebenjährige Tochter im Herbst 2015 von einem dort arbeitenden Pförtner sexuell missbraucht. Der Mann wurde inzwischen verurteilt, Familie S. zog im November weiter in die Flüchtlingsunterkunft im Naturfreundehaus Moers. Doch hier fühlt sie sich allein und im Stich gelassen. "Niemand hilft uns", beklagt Ahmad S. mit Tränen in den Augen.

Erst Anfang Mai habe man endlich einen psychologischen Beistand für das Mädchen organisiert, sagt der 51-Jährige. "Wir haben uns selbst darum gekümmert." Die Familie suchte das Psychosoziale Zentrum auf. "Wir haben einen Termin in zwei Monaten bekommen." Nach dem Missbrauch fing die Tochter zu stottern an. Die Situation im Flüchtlingsheim belaste die Familie zusätzlich. "Wir leben mit sechs Personen in einem Zimmer." Neben Ahmad und Joudy S. sind dies zwei Töchter (sieben und sechs), ein Sohn (4) sowie ein 24-jähriger Neffe. Ahmad und Joudy S. würden gerne eine eigene Wohnung beziehen. Zwar hat die Stadt eine in Repelen angeboten, doch das sei zu weit entfernt, sagt Ahmad S. Die Familie möchte in der Nähe von Saras jetziger Schule bleiben. Das traumatisierte Kind solle nicht erneut in eine neue Umgebung verpflanzt werden.

Fast einen Monat lang hatte die Flucht der Familie aus Latakia in Syrien gedauert. Sie führte über die Türkei, Griechenland, Makedonien, Slowenien und Österreich. Fünfmal wurden Boote, mit denen die Sechs sich in Richtung Griechenland eingeschifft hatten, von der Küstenwache aufgebracht. Einmal wurde die Familie in der Türkei für mehrere Tage in Gewahrsam genommen. Für das Boot, das sie endlich doch auf die griechische Insel Kos brachte, wurden 2000 Euro pro Passagier fällig. Eigentlich wollte Familie S. nach Schweden. Dann beschloss sie, in Deutschland ihr Glück zu versuchen. Dann zerstörte der Vorfall in Höxter die Träume.

"Wir haben ein besonderes Recht, eine Wohnung zu bekommen", findet der Vater selbstbewusst. Zumal er sehe, dass andere Flüchtlinge Wohnungen erhielten. Die in der Flüchtlingshilfe tätigen Sozialarbeiter würden ihre Landsleute bevorzugen, ist Ahmad S. überzeugt. "Unter den Sozialarbeitern sind aber keine Syrer." Eine Annahme, der Flüchtlingsbetreuerin Suada Redzovic vehement widerspricht. Es sei eben sehr schwer, geeignete Wohnungen für Flüchtlingsfamilien zu finden. Derzeit gebe es die Aussicht auf eine Wohnung in Nähe des Naturfreundehauses, vielleicht könne die Familie dort einziehen. Aber es werde dauern, bis die Räume renoviert und eingerichtet sind. Die Flüchtlingsbetreuerin versichert weiter, dass sie der Familie unmittelbar nach der Ankunft in Moers einen Termin beim Psychosozialen Zentrum angeboten hatte. "Aber es hieß, dass man dies zunächst nicht wolle." Ein anderes Mal sei ein vereinbarter Termin abgesagt worden. Die Betreuerin hatte auch vorgeschlagen, dass Sara an einem Selbstbehauptungstraining teilnimmt, wie es zum Beispiel an Schulen in Deutschland üblich ist. Das wiederum lehnte die Familie ab - vielleicht aus Unkenntnis. Er sehe keinen Sinn in einem Kurs, bei dem ein kleines Mädchen lernen soll, sich gegen erwachsene Männer zu "behaupten", sagt Ahmad S.

Das Verhältnis der Familie und der Flüchtlinsbetreuung vor Ort scheint zerrüttet zu sein. "Wir fühlen uns diskriminiert", sagt Ahmad S. Und er fühlt sich zu Unrecht als Querulant abgestempelt. Die Lage ist aufgrund von Verständigungsproblemen umso verzwickter; die Kommunikation läuft über eine Arabisch-Dolmetscherin in Diensten der Stadt. Ahmed und seine Frau haben inzwischen aber auch Deutsch-Kurse belegt. "Das ist Voraussetzung, um hier arbeiten zu können", weiß Ahmad S. In der syrischen Stadt Latakia war er Elektriker von Beruf, seine Frau arbeitete als Lehrerin.

Das Ehepaar hat in seiner Verzweiflung darüber nachgedacht, nach Syrien zurückzukehren. "Aber dort herrscht Krieg, und wir haben unser Geld, unser Haus, unsere gesamte Existenz verloren." Nun hofft Ahmad S., dass Bürgermeister Christoph Fleischhauer ihm helfen kann. "Ich würde ihn gerne persönlich sprechen. Aber dafür brauche ich einen Termin."

(RP)
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