Serie Woran Glaubt Moers? "Es ist ein wenig wie im Sozialismus"

Moers · Preeteshwar Sascha Gill betet regelmäßig im Gurdwara in Moers, der Gebets- und Schulstädte der Sikhs. An seiner Religion schätzt er die Toleranz, die ihm im sonstigen Alltag nicht immer entgegengebracht wird.

 Preeteshwar Sascha Gill vor dem Eingang zum Hauptraum des Moerser Gurdwaras. Neben ihm: Die Tafel mit der Botschaft des Tages.

Preeteshwar Sascha Gill vor dem Eingang zum Hauptraum des Moerser Gurdwaras. Neben ihm: Die Tafel mit der Botschaft des Tages.

Foto: Marc Latsch

Moers Direkt an der Stadtgrenze zu Duisburg liegt hinter einer Tankstelle ein unscheinbarer Flachbau. Davor steht ein junger Mann in lockerer Freizeitkleidung und Adidas-Turnschuhen. Ein normaler 19-Jähriger, wären da nicht Vollbart und Turban. Er bittet mich herein. Bevor wir die hinteren Räume betreten, sind allerdings noch ein paar Vorkehrungen nötig. Schuhe und Strümpfe werden in der Garderobe deponiert, Hände gewaschen und ganz wichtig: Die Haare bedeckt. Dann geht es ins Innere des Gurdwaras ("Tor zum Guru"), der Gebetsstätte der Moerser Sikhs.

Der Sikhismus ist eine vergleichsweise junge monotheistische Religion. Endstanden ist er im 15. Jahrhundert im nordindischen Punjab. In der Sikh-Religion wird ein gestaltloser Schöpfergott verehrt, der weder Mann noch Frau ist. Das Ziel ist vorrangig nicht die Einhaltung von Dogmen, sondern religiöse Weisheit für den Alltag nutzbar zu machen. Insgesamt gibt es derzeit rund 25 Millionen Sikhs, die überwiegende Mehrheit von ihnen lebt in Indien. In Deutschland hat die Religion rund 25.000 Anhänger.

Von außen deutet bis auf die große orangefarbene Flagge nichts auf ein Gotteshaus hin. Sie symbolisiert die Hoffnung und weist den Weg zum Gurdwara. Auch innen ist die Gestaltung zunächst sehr schlicht. Auf einer Kreidetafel steht die Botschaft des Tages. "Eine zufällige Seite aus dem Heiligen Buch", erklärt Gill. Über einer massiven Tür prangert in großen Buchstaben das Wort "Welcome". Dahinter liegt der "Darbar Sahib", das Zentrum des Gurdwaras. Auf einer Art Altar liegt dort der "Guru Granth Sahib", die heilige Schrift der Sikhs. Gill drückt mir ein 50-Cent-Stück in die Hand. Es ist üblich, vor dem Buch zu beten und dann eine kleine Spende dazugeben. Er betet, steckt seine Münze in einen kleinen Schlitz vor dem Altar. Dann verbeugt er sich.

Die heilige Schrift der Sikhs ist kein gewöhnliches Buch. Es wird wie ein Mensch behandelt, die einzelnen Seiten wie Teile eines Körpers. Es gilt als die sichtbar veräußerte Form der zehn klassischen Gurus. Im Umgang mit dem Buch herrscht größte Sorgfalt. Es existiert sogar ein eigenes Schlafzimmer, in dem das "Guru Granth Sahib" nachts aufbewahrt wird, Schutzvorhang gegen Schmutz inklusive.

Gill hat indische Vorfahren, seine ganze Familie besteht aus gläubigen Sikhs. Doch diese Begründung reicht ihm nicht. "Meine Religion steht für alle Menschen offen und hat Respekt vor jedem, egal welche Herkunft er hat", sagt er. "Außerdem ist der Sikhismus die einzige Religion, in der Sexualität keine Rolle spielt. Es ist egal, ob du homo- oder heterosexuell bist." Im Heiligen Buch sei hierzu nichts zu finden. Auch seien Männer und Frauen grundsätzlich gleichberechtigt.

Generell imponiert Gill der Umgang untereinander: "Der Aspekt des Teilens wird ganz groß geschrieben." Zumeist wird im Gurdwara Essen aufgestellt. Jeder ist willkommen, sich zu bedienen. "Es ist ein wenig wie im Sozialismus", sagt Gill und meint es als Kompliment. Er selbst ist in der SPD aktiv.

Sikhs fallen auf. Das kann Vorteile und auch Nachteile haben. Mit ihrem Turban und dem langen Bart sind gerade die Männer stets neugierigen Blicken ausgesetzt. Das Haar wird als "Geschenk Gottes" wachsen gelassen, unwissende Beobachter bringen sie auch deswegen gerne mit Islamisten in Verbindung. Dabei wurden Sikhs in Deutschland selbst schon Opfer von islamistischem Terror, wie beim Anschlag auf die Essener Sikh-Gemeinde im April 2016. Ein Sprengsatz verletzte damals drei Menschen. Den Tätern wurden später Verbindungen zum sogenannten Islamischen Staat nachgewiesen.

Auch Gill kennt es, im Mittelpunkt zu stehen. "Ich wurde seit fünf Tagen nicht mehr rassistisch beleidigt", sagt er, als sei es ein Grund zur Freude. Durch die Flüchtlings-Diskussion sei es noch schlimmer geworden. Im besten Fall fragen ihn die Leute: "Seit wann bist du hier?". Im schlechtesten Fall betiteln sie ihn als "scheiß Ausländer". Wie kürzlich eine junge Frau, die ihm mit ihrer Tochter entgegenkam. Doch Gill ist Deutscher. "Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen", sagt er. Er ist stolz, Deutscher zu sein und freut sich jetzt schon darauf, zur Fußball-Weltmeisterschaft wieder alles in Schwarz-Rot-Gold zu dekorieren. "Eigentlich ist die deutsche Gesellschaft sehr cool und tolerant, nur radikal humorlos", wie er grinsend hinzufügt. Doch immer mehr Einzelne haben ein Problem mit ihm und wenn jemand etwas Rassistisches sage, greife niemand ein. "Wenn ich mich dann wehre, schauen mich die Menschen an, als ob ich den Ärger mache", sagt er.

Vielleicht kann Gill einmal selbst für noch mehr Toleranz einstehen. Er will irgendwann politische Ämter bekleiden, erzählt er mir beim Verlassen des Gurdwaras. In Kanada gebe es bereits drei Minister mit Turban, erzählt er stolz. Dort spielt das keine Rolle mehr.

(mlat)
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