Holk Freytag Begegnung mit Hüsch

Moers · Im Mai stehen in der Grafenstadt zwei Geburtstage an. Hanns Dieter Hüsch wäre am 6. Mai 90 Jahre alt geworden. Und das Schlosstheater besteht seit 40 Jahren. Holk Freytag steht zu beiden in einer tiefen Verbundenheit. Für eine Lesung über den Kabarettisten kehrt der Gründer des Schlosstheaters am 10. Mai nach Moers zurück.

 Dieses Foto entstand vor einigen Jahren bei der Eröffnung einer Ausstellung über Hanns Dieter Hüsch in Moers. Holk Freytag unterhält sich mit Anna Hüsch-Kraus und dem ehemaligen Bürgermeister Wilhelm Brunswick.

Dieses Foto entstand vor einigen Jahren bei der Eröffnung einer Ausstellung über Hanns Dieter Hüsch in Moers. Holk Freytag unterhält sich mit Anna Hüsch-Kraus und dem ehemaligen Bürgermeister Wilhelm Brunswick.

Foto: Klaus Dieker

Herr Freytag, Hanns Dieter Hüsch hat lange mit seiner Heimatstadt gehadert. Sie haben daran mitgewirkt, ihn mit Moers zu versöhnen. Wie haben Sie das vollbracht?

Freytag Ich habe Hüsch Ende der 1960er Jahre auf einer Veranstaltung gesehen und bin ihm nachgereist . . . Im Duisburger Bahnhof habe ich ihn schließlich erwischt. Ja, und am Stand "Lecker essen - gut trinken" habe ich ihn dann gefragt, ob er bei mir gastieren würde. Damals leitete ich den Theaterkeller in Neuss. Und obwohl ich ihm nur 250 Mark als Gage anbieten konnte, hat er positiv reagiert und ist tatsächlich zum Auftritt gekommen. Hanns Dieter Hüsch war immer ein freundlicher und kontaktfreudiger Mensch.

Und das war auch der Auftakt einer langjährigen Freundschaft?

Freytag Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Während er vor einem Auftritt im Schlosstheater an der Orgel philosophierte, habe ich die Scheinwerfer auf der Bühne gerichtet. Als er mir schließlich am Bühnenausgang das Du anbot, war das für mich wie ein Ritterschlag.

Wann haben Sie Hanns Dieter Hüsch wieder nach Moers geholt?

Freytag Jahre nach unserem ersten Treffen, ich war schon Intendant des Schlosstheaters, lud ich Hanns Dieter Hüsch ein, eine Gastspielwoche im Moerser Schloss zu geben. Es war immer rappelvoll im Schloss, wenn er da war. Die Zuschauer haben da erst gemerkt, dass er sich nicht über sie lustig macht. Er hat den Menschen ihre ganz eigene Sprache zurückgegeben. Der Niederrhein ist heute wie die Lausitz oder Oberbayern eine Region. Das ist Hüschs historischer Verdienst.

Die Moerser taten sich schwer, Hüsch zu verstehen.

Freytag Dazu gibt es eine wunderbare Anekdote. Auf einer Premierenfeier im Schlosstheater kam ich mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Apostel ins Gespräch. Er bot uns, also dem Theater, Hilfe an, woraufhin ich ihm zurief: Verleiht dem Hüsch den Ehrenring! Es hat aber noch zwei Jahre Überzeugungsarbeit gebraucht, bis wir die Verleihung im Schlosstheater groß feiern konnten.

Zum 90. Geburtstag von Hanns Dieter Hüsch haben Sie mit seinem Manager Jürgen Kessler eine szenische Lesung entwickelt. Wie kam es dazu?

Freytag Die Texte hat Jürgen Kessler geschrieben. Ich denke, dass er damit schon länger schwanger ging. Beide haben ja 30 Jahre lang zusammengearbeitet. Vor einem Dreivierteljahr rief Kessler mich dann und fragte, ob ich mit dabei bin. Wir sind zwar beide keine Schauspieler, aber uns eint die Authentizität von Zeitzeugen. Die szenische Lesung trägt den Titel "Und sie bewegt dich noch" und stützt sich unter anderem auf Gedanken aus Hüschs Programm "Und sie bewegt mich doch" aus dem Jahr 1984. Im zweiten Teil nutzt Kessler Zitate und schreibt Hüschs Philosophie für unsere Zeit fort. Am Schluss kommt Hüsch dann auch einmal in einer Originalaufnahme sozusagen persönlich zu Wort. Unterstützt werden Kessler und ich von der Sängerin Irmgard Haub und dem Pianisten Johannes Reinig.

In Moers sind Sie mit der Lesung am Sonntag, 10. Mai, zu erleben.

Freytag Ja, die Premiere ist am 6. Mai in Hamburg.

Hüschs 90. Geburtstag wird am 6. Mai in Moers groß gefeiert. Zu diesem Anlass wird vor der Bibliothek eine neue Skulptur enthüllt. Haben die Moerser Hüsch heute zu gern?

Freytag Ich finde das ganz und gar nicht übertrieben. Er ist der große Sohn der Stadt. Leider wird er gerne in die Ecke des Spaßmachers gerückt. Das stimmt aber nicht. Hüsch war ein Philosoph. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe 2005 angeregt, einen Platz nach ihm zu benennen. Ich fand, dass der Kastellplatz ein geeigneter Ort gewesen wäre. Es wurde schließlich der viel geeignetere Bereich an der ehemaligen Spaethe-Bürcherei. Ich finde das ganz toll.

Mit der Lesung kehren Sie an Ihre alte Wirkungsstätte zurück, die ebenfalls Geburtstag feiert. Das Schlosstheater wird 40 Jahre alt. Wie ist das für Sie?

Freytag Es ist schön, zurückzukehren. Als ich das Schlosstheater verließ, haben wir eine rauschende Abschiedsfete gefeiert. Der damalige Kulturdezernent meinte, ich müsse unbedingt mal wieder kommen. Ich habe das beste für das Theater getan, was ich konnte: Ich bin fünf Jahre gar nicht gekommen. Ich habe zu allen Intendanten, die mir gefolgt sind, ein gutes Verhältnis.

Sie haben mal gesagt, in Moers sei in den 1970er Jahren ein Kulturwunder geschehen. Wie war die Zeit damals?

Freytag Wir haben Anfang der 1970 Jahre einen Kulturplan entwickelt, der in fünf Jahren abgearbeitet war. Es entstanden das Schlosstheater, die Galerie Peschkenhaus, die Musikschule und das Moers Festival. Das konnte damals nur gelingen, weil es Menschen in der Stadt gab, die zugehört haben, auch wenn sie gegen die Projekte waren. Es gab erbitterte Diskussionen, und es wurde konstruktiv gefochten. Es waren Jürgen Schmude, Wilhelm Brunswick, Hartmut Boblitz Frieder Backhaus und Werner Röhrich, die damals zugehört haben. Über allen stand Bürgermeister Albin Neuse. Ich erinnere mich noch an die Bacchantinnen-Premiere im Jahr 1979. In den letzten 20 Minuten standen die Schauspieler nackt auf der Bühne. Der Applaus war riesig, doch die Zuschauer blickten auch gespannt auf Neuse. Seine Reaktion war theatralisch perfekt. Auf dem Weg zum Ausgang erklärte er: "Die Griechen waren grausam. Lest Platons ,Gastmahl'".

Erinnern Sie sich an eine Inszenierung besonders gerne zurück?

Freytag Ja. Die Orestie war für mich eine besondere Inszenierung. Die Aufführung dauerte sechseinhalb Stunden. Sie lief über drei Jahre und wurde 102 Mal gespielt. Und jedes Mal haben wir das Theater unter Wasser gesetzt. Die Orestie ist mir wichtig, weil sie sich mit einer der Grundfesten unserer Existenz befasst: der Demokratie. Melina Mercouri, die damalige Kulturministerin in Griechenland, lud uns ein, sie in Athen zu spielen. Das hat sich leider nicht ergeben. Es wäre ein schöner Abschluss gewesen.

Glauben Sie, dass so eine Theatergründung heute noch zu bewerkstelligen wäre, wie es Ihnen damals mit dem Schlosstheater gelungen ist?

Freytag Ich halte es mit George Bernhard Shaw: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Ich bin davon überzeugt, dass immer nur die richtigen Leute zusammen kommen müssen. Es geht um die persönliche Haltung. Deutschland ist ein reiches Land. Es fehlen nicht die Gelder, die Bereitschaft ist geringer geworden. Das Klima in der Gesellschaft hat sich verändert.

Wie bewerten Sie die Rolle des Schlosstheaters heute?

Freytag Ich kann nur mit den Augen der Liebe auf das Haus gucken. Es spielt als fester Bestandteil auf jeden Fall eine Sonderrolle in der NRW-Theaterlandschaft.

ANJA KATZKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort