Moers Aggressive Akkorde, friedliche Fans

Moers · Mehr als 300 Besucher feierten am Samstag beim zweiten Hardcorefest im Bollwerk. Obwohl die Texte der wütenden, autobiografischen Songs eher geschrien als gesungen wurden und der Tanzstil einiger Fans an Rangeleien erinnerte, herrschte eine Atmosphäre des Zusammenhalts.

 Hardcorefestival im Bollwerk 107, auf der Bühne: die Band Heavy Kind.

Hardcorefestival im Bollwerk 107, auf der Bühne: die Band Heavy Kind.

Foto: crei

Als Jonas Wenz (25) das Mikro hebt und seine ganze Seele in den melodischen Schrei legt, gibt es unter den Fans von Heavy Kind aus Duisburg kein Halten mehr. Ein junger Mann in rotem Trikot, mit schwarzer Bauchtasche und verstrubbelten Haaren macht im Sekundentakt immer neue, breakdanceähnliche Bewegungen, ein Mann mit Dutt und einem Becher in der Hand schafft es trotz wilden Tanzes, keinen Milliliter seines Biers zu verschütten. Vor der Bühne in der Bollwerk-Halle bildet sich ein Kreis, in dem ein Dutzend Hardcoreanhänger wild herumspringt.

Die rhythmischen Bässe steigern sich, der Schreigesang ist größtenteils unverständlich, klingt aber überraschend wohlig in den Ohren. Die Köpfe der Besucher nicken im Takt. Bei einigen geht der ganze Oberkörper mit, andere sind verhaltener. In der dunklen Halle, durch die rote und blaue Lichtblitze zucken, wird es langsam warm. Wenz trägt einen schwarzen Kapuzenpulli, darunter eine Cap - er hält es nicht lange darin aus, überlässt seinem Bandkollegen im grauen T-Shirt den nächsten Song "Blind" und ext einen halben Liter aus seiner Wasserflasche. Auch wenn es nicht auffällt: Beide Sänger gehören nicht zur Stammbesetzung von Heavy Kind, der ersten Band des Abends. "Sie helfen heute aus, weil Sänger Chris beruflich unterwegs ist", erklärt Gregor Polzin, Veranstalter des Hardcorefestes. "Sonst spielen sie bei Second Sight, einer anderen Band desselben Genres." Die Musikrichtung sei am Niederrhein sehr verbreitet. "In der Szene kennt man sich, das Verhältnis ist freundschaftlich. Deshalb waren die beiden auch sofort bereit, einzuspringen", sagt Polzin.

Das kann Jörg Bills (51), der in einer Pause zwischen den Auftritten mit einem Bierbecher auf dem Sofa vor der Halle sitzt, bestätigen. "Mir gefällt's super, tolle Atmosphäre und coole Menschen", sagt er. Für das Festival ist er allein aus einem kleinen Ort zwischen Paderborn und Kassel angereist. Doch neue Leute lernt er hier schnell kennen. "Für mich ist Hardcore Punk eine Lebenseinstellung, es geht darum, sich von rechten Gewalttätern zu distanzieren. Die meisten Fans und Gruppen teilen eine politische Überzeugung", führt der 51-Jährige aus. "Es gibt neben dem Musikgeschmack also weitere Gemeinsamkeiten. Da kommt man gut ins Gespräch." Besonders lobt Bills den Einsatz der Hardcore Help Foundation, die mit einem Verkaufsstand vor der Halle vertreten ist: "Das ist 'ne gute Sache."

Christian Heinemann (24), ehrenamtlicher Mitarbeiter der Foundation, erklärt die "Sache" genauer: "Wir helfen Obdachlosen und Geflüchteten mit dem Erlös aus unserem Merch-Verkauf und materiellen Spenden. Außerdem unterstützen wir NGOs in Kenia, die den Menschen dort Zugang zu sauberem Trinkwasser und ärztlicher Versorgung ermöglichen." Regelmäßig ist die Foundation bei Hardcore-Konzerten vor Ort. "Helfen, ohne etwas dafür zurückzubekommen - viele Hardcorefans unterstützen unsere Message" , sagt Heinemann. An der Wand gegenüber lehnt Breakdancer Felix (21) im roten Trikot und wartet mit seinem Kumpel Moritz (22) auf Slope aus Duisburg. "Das wird geil, man kann sofort einsteigen, alles vergessen", schwärmt er. "Mir ist es egal, was andere von mir halten, wenn ich zum Hardcore abgehe. Wir sind alle eine Gemeinschaft." Als die ersten Töne erklingen, stürmen die Freunde in die Halle, ganz nach vorne. Alle sind ausgelassen. Als die beiden Sänger von Slope loslegen, werden einige mutig, laufen auf die Bühne und springen ins Publikum. Als ein Mann beim Tanzen fällt, wird er von vielen Händen hochgezogen.

(jma)
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