Moers Ännes letzte Reise endet in der Gaskammer

Moers · Das "Theater mini art" bringt ein bedrückendes Zweimannstück auf die Bühne des Schlosstheaters.

Eigentlich ist Änne, ein ganz normales, fröhliches Mädchen, bis sie bei einem Unfall ein Auge verliert und ein Glasauge tragen muss. Plötzlich mag sie niemanden mehr anschauen, wird scheu und zieht sich immer mehr zurück. Auch später in der Schule findet sie keinen Anschluss, lernt nur schlecht und gilt bald als "geistig behindert". So fängt die Geschichte von Anna Lehnkering an. Eine Geschichte, die sie zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau und schließlich in eine Gastkammer des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Grafeneck führt.

Anna Lehnkerings Schicksal war nur eines von vielen. Während des Dritten Reiches wurden Tausende von geistig und körperlich behinderten Menschen im Namen der arischen Rassenreinheitsgesetze vergiftet, vergast oder bei medizinischen Experimenten zu Tode gefoltert. Die lange verschwiegene Euthanasie im Nationalsozialismus war Thema eines Theaterstücks, das am Montag im Moerser Schlosstheater zu sehen war. Unter dem Titel "Ännes letzte Reise" zeigte dort das in Bedburg-Hau beheimatete "Theater mini-art" die traurige Geschichte von Anne Lehnkerings Leben und Sterben in einem gut einstündigen, bewegenden Zweipersonenstück.

Es war nicht die erste Aufführung des Stückes in Moers. Vor einem Jahr hatte "Ännes letzte Reise" im Rahmen der Moerser Kinder- und Jugendtheatertage "Penguin's Days" von der Jugendjury den Goldenen Pinguin für die beste Inszenierung zuerkannt bekommen. Auch diesmal bestand ein großer Teil der Zuschauerschaft wieder aus Jugendlichen. In diesem Fall waren es hauptsächlich Schüler des Philosophiekurs-Jahrgangs zehn, sowie eine Gruppe Neuntklässler des Rheinberger Amplonius-Gymnasiums.

"Liebe Mama, ich werde verreisen. Aber ich will nicht", begann das Stück mit der Verlesung eines Briefes, den Änne kurz vor ihrer Deportierung nach Grafeneck an ihre Mutter geschrieben hatte. "Wir fahren mit dem Zug. Jetzt bin ich aber doch ein wenig aufgeregt. Vielleicht geht es ja ans Meer." In den darauf folgenden Szenen ließen die beiden Schauspieler Crischa Ohler und Sjef van der Linden das Publikum dann Stück für Stück in kleinen Rückblenden an der Kindheit, Jugend und dem beginnenden Erwachsenwerden ihrer Titelfigur teilhaben. Dazu schlüpften sie, lediglich mit kleinen Kostümutensilien gekennzeichnet, in zahlreiche verschiedene Rollen. Darunter in die von Ännes ständig um das finanzielle Überleben kämpfenden Mutter, oder die des Hitlerarztes Karl Brand, der die Vergasung von Behinderten auch nach dem Ende des Krieges weiterhin für einen "Gnadentod" hielt.

Optisch begleitet wurden die Szenen durch Leinwandprojektionen von Originalbildern, die sowohl Änne in ihren Lebensstadien, als auch einige ihrer Peiniger, sowie ihr von zwei Weltkriegen gezeichnetes Umfeld zeigten. Das Stück endete wie der Anfang mit dem Verlesen eines Briefes, der diesmal jedoch nicht von Änne, sondern von ihren Mördern kam, und Ännes Tod scheinheilig als schicksalhafte Folge einer schweren Bauchfellentzündung bedauerte.

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