Mönchengladbach Wirtschaftskrise sorgt für Scheidungsrückgang

Mönchengladbach · Mit einem Rückgang um 22 Prozent war Mönchengladbach 2009 die Stadt mit der niedrigsten Scheidungsrate in NRW. Experten vermuten, dass Paare aus Angst vor dem sozialen Abstieg versuchen, ihre Ehe zu retten.

Wenn Ehen in die Brüche gehen, kommt zu dem emotionalen Druck ein weiterer hinzu. Es wird finanziell eng. Der Mehraufwand für Wohnungen, Autos, die Zahlung von Unterhalt und häufig auch die ungünstige Steuerklasse bedeuten: mehr Kosten, aber weniger Geld auf dem Konto.

"Die Medien zeigen sehr erschreckende Beispiele dafür, welche finanziellen Probleme eine Scheidung mit sich bringen kann, zu welcher Überschuldung so ein Schritt führen kann", sagt die Leiterin der Schuldnerberatung, Karin Fuhrmann-Dally.

Die Angst vor dieser wirtschaftlich angespannten Situation könne daher dazu führen, dass "Paare versuchen, ihre Ehe zu erhalten, damit ihre Lebenssituation sich nicht verschlechtert." Dies könnte eine Erklärung sein, warum in der Stadt die Zahl der Scheidungen 2009 rückläufig war.

Richter überrascht

Im vergangenen Jahr ließen sich, so das Statistische Landesamt, in NRW 45 978 Paare scheiden, ein Jahr zuvor waren es fast genauso viele. In Gladbach fiel die Scheidungsrate: 2009 ließen sich 721 Paare scheiden, 2008 waren es noch 926. Zum Vergleich: 2008 heirateten 1012 Paare, 2009 waren es 1024.

Mit der rückläufigen Quote ist Gladbach Spitzenreiter, was Dr. Walter Röchling, Honorarprofessor an der Hochschule Niederrhein für Familien- und Jugendhilfe sowie Familienrichter am Amtsgericht Rheydt, überrascht. "Wir haben bei Gericht nicht weniger Verfahren. Und vor allem haben wir mehr Fälle, was strittige Elternschaften angeht."

Vor allem Paare aus der Mittelschicht, vermutet Schuldnerberaterin Karin Fuhrmann-Dally, entscheiden sich aus wirtschaftlichen Gründen für eine Verzögerung der Scheidung: "Für einen Hartz-IV-Empfänger ist der Schritt, nach der Trennung aus einer kleinen Wohnung in die andere zu ziehen, minimal."

60 Quadratmeter stehen einem Hartz-IV-Paar zu, 15 Quadratmeter kommen für jede weitere Person im Haushalt, etwa für ein Kind, hinzu. Die Kosten für das Scheidungsverfahren übernimmt der Staat. "Für Menschen mit Vermögen ist der Schritt etwa von einem gemeinsamen Haus in eine kleine Wohnung deutlich größer. Und insgesamt muss mehr Besitz und Eigentum umverteilt werden."

Auch die Zahl der Scheidungen mit minderjährigen Kindern ist in Mönchengladbach um ein Fünftel zurückgegangen. Maria Jewanski vom Kinderschutzbund warnt aber davor, die rückläufige Scheidungswelle in Fällen mit Kindern nur positiv zu bewerten: "Es ist nicht unbedingt besser, wenn Ehen wegen Sachzwängen gehalten werden." Aber wenn die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen dazu führe, dass Paare wieder zusammenfinden, sei das ein positiver Trend. Jewanski: "Denn für Kinder ist jede Scheidung eine Lebenskrise."

Dr. Röchling sieht die Zahlen kritisch: "Nur weil der Trend rückläufig ist, bedeutet das nicht, dass Partnerschaften in Mönchengladbach stabiler sind. Und die Statistik zeigt nur die ausgesprochenen Scheidungen." Wie viele tatsächlich in Bearbeitung sind, gehe aus den Zahlen nicht hervor.

(RP)
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