Mönchengladbach Wir und der schwarze Mann

Mönchengladbach · "Kein schöner Land" ist eine theatrale Recherche zum Flüchtlingsthema von Lothar Kippstein und Hüseyin Michael Cirpici. Die Uraufführung inszeniert Schauspieldirektor Matthias Gehrt.

Mönchengladbach: Wir und der schwarze Mann
Foto: Stutte

Auch unser Theater hat mit einem Auftragswerk aufs Flüchtlingsthema reagiert. "Kein schöner Land" von Lothar Kittstein und Hüseyin Michael Cirpici besteht aus Recherchematerial, das die Autoren Anfang des Jahres in Notunterkünften, auf der Straße und in den sozialen Netzwerken gesammelt haben. Schauspieldirektor Matthias Gehrt geht dieser Text-Collage mit Mitteln des agitativen Theaters auf den Grund, was seinem Team virtuoses Handwerk abverlangt und das Publikum 90 Minuten in intellektuelle Spannung versetzt. Das Stück ist schwer und leicht zugleich. Antworten gibt es nicht, aber die Fragen werden klarer.

Der Intendant kehrt. Michael Grosse schiebt stoisch Bauch und den breiten Besen an der Rampe vor sich her. Der blaue Kittel kennzeichnet den Hausmeister des Gebäudes, dessen Versammlungssaal das Design der 70er bewahrt hat. Gabriele Trinczek hat ihre Bühne einem Gemeindehaus abgeschaut, eine Kirchenbank an den Rand gestellt und mittig einen Stuhlkreis für die Chorprobe. Auf dem Klavier liegt ein Mann. Er ist schwarz und schläft. Als die Türen im Saal sich schließen, bleibt das Licht an. Endlich stehen ein paar Leute auf und stimmen an: "Muss i denn...". Zwei Frauen und fünf Männer, versprengt in Parkett und Rang, singen die drei Strophen im modifizierten Silcher-Satz, vorn gibt Jonathan Hutter den Ton an und dirigiert. Fühlt sich mulmig an, wenn so direkt neben einem Theater gespielt wird, gar gesungen. Selbst wenn man weiß, dass es der Regie ja darum geht: dem Publikum jene Zuschauerrolle zu verweigern, die Distanz schafft zum Bühnengeschehen.

Der schwarze Mann steht auf. Wendet sich zum Saal. "Ich möchte mitsingen. Ich bin ein Flüchtling." Seine Sätze klingen mechanisch, sein Deutsch tadellos. "Woher kommen Sie?", schallt es zurück. Die Schauspieler sprechen im Chor, im mechanischen Rhythmus, in kleinen Gruppen, von unmerklichen Gesten synchronisiert. Wie ein Graben klafft der Übergang zur Bühne. Ein entfremdeter Dialog nimmt seinen Anfang. Kittstein/Cirpici haben eine Geschichte aus Bayern zum Rahmen ihres Stücks gewählt: Wie ein Flüchtling bei einer Chorprobe auftaucht und mitmachen möchte, schließlich der beste Sänger des Chores wird. Hier und jetzt ist so ein Happy End nicht zu haben. Stattdessen bleiben, bei aller Empathie für die verhandelten Vertreibungsschicksale, Trennung und Fremdheit. Fast die Hälfte des 90-minütigen Abends verbleibt der Chor im Parkett, reagiert fordernd, absurd die Sprache verbessernd, moralisierend auf die Erzählungen des schwarzen Mannes, in dessen Mund all die Vertreibungs-, Vergewaltigungs-, Kriegsgeschichten gelegt sind. Als dann Bewegung in den Chor kommt, die Schauspieler auf die Bühne streben, Geschichten von deutschen Mädchen auftauchen, die sich in syrische Jungs verliebt haben, branden wütende, menschenverachtende Parolen hoch. Personen, Haltungen, Texte überlagern sich, mischen sich zu undurchdringbarer Polyphonie, die virtuos choreografiert ist.

Die strammen Nazi-Gesten schreibt die Regie dann aber dem schwarzen Mann auf den Leib, der irgendwann mit ausgestreckter Rechter und Multikulti-Hassparolen auf den Lippen an der Rampe steht. Das wirkt noch gespenstischer als dieser ganze Abend. Zwischen Witz und Peinlichkeit, Banalität und Todesfuge nähern sich die Autoren und die zu Instrumenten der Aufklärung stilisierten Schauspieler dem Flüchtlingsthema auf eine theatrale Weise, die zu erleben niemanden kalt lässt.

Es gibt zärtliche Szenen, Streicheleinheiten und Gruppenkuscheln; aber auch Hasstiraden, Stammtischparolen und Dialoge wie: "Wir sind das Volk." - "Ich bin Volker." Das Ensemble spielt und singt vorzüglich. Da haben die Sonderproben mit Chordirektorin Maria Benyumova Früchte gezeitigt. Jubril Sulaimon spielt den schwarzen Mann großartig, so eindringlich wie unprätentiös. Am Ende sitzt er im Parkett, auf der Bühne ein Tribunal im Halbdunkel. Endlich steht er auf und singt "Kein schöner Land...". Erst leise, dann, getragen von einem leise mitsummenden Publikum, immer lauter. Mit "Eichengrund" und "gute Nacht" bis zum Schluss, der Gemeinschaft ersehnt. Langer Beifall.

Vorstellungen: 13., 29. Oktober, 4., 11. November, 6., 9., 18. Dezember, 11. Januar. Karten: 02166 6151100, www.theater-kr-mg.de

(ark)
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