Jörg Lampe Wir müssen uns auf Sturm und Starkregen einstellen

Mönchengladbach · Feuerwehrchef Jörg Lampe spricht über Notfallpläne bei einem Reaktorstörfall, über leistungsfähige Warnsysteme und darüber, was es bedeutet, wenn der Strom ausfällt.

 "Ich bin sehr froh, dass wir jetzt auf Sirenen als Warnsystem setzen", sagt Feuerwehrchef Jörg Lampe.

"Ich bin sehr froh, dass wir jetzt auf Sirenen als Warnsystem setzen", sagt Feuerwehrchef Jörg Lampe.

Foto: Detlef Ilgner

Der Atommeiler Tihange ist gerade wieder abgeschaltet worden. Auch in Mönchengladbach fürchtet man sich vor einem atomaren Unfall. Wie sieht der Notfallplan für die Stadt aus?

Lampe Wir sind noch in der Abstimmung, was bei einem Störfall zu geschehen hat. Es muss festgelegt werden, welche Wege maßgeblich sind und wer welche Informationen an wen weitergibt. Die viel diskutierte Ausgabe der Jodtabletten ist ja nur eine kleine Facette des Ganzen. Da es sich bei Tihange und Doel um belgische Atomkraftwerke handelt, steht das radiologische Lagezentrum des Bundes in der Informationskette an erster Stelle. Es gibt die Informationen an die radiologischen Lagezentren der Länder weiter. Von dort bekommen wir sie dann.

Sind die Jodtabletten schon eingetroffen?

Lampe Wir halten 3500 Jodtabletten im Medikamentenlager vor. Das reicht für die unter 18-Jährigen und die Schwangeren. Alles andere wird über das Land geregelt, das abgefragt hat, wie viel jede Kommune benötigt. Versorgt werden sollen alle unter 45 Jahren.

Wie und wann soll die Bevölkerung nun mit den Tabletten versorgt werden?

Lampe Die Entscheidung über den Zeitpunkt der Ausgabe und das Verfahren trifft das Land. Geplant ist bisher, dass in den Außenzonen, wozu Mönchengladbach gehört, die Ausgabe nur im Ereignisfall erfolgt. Dann aber sind die Katastrophenschutzeinrichtungen garantiert nicht in der Lage, die Jodtabletten zu verteilen. Das müsste eine andere Einrichtung übernehmen. Meine präferierte Lösung wäre eine Vorverteilung: Jeder Berechtigte erhält seine Tablette und bewahrt sie auf. Diese Lösung hat aber den Nachteil, dass der Einzelne im Ernstfall vielleicht nicht mehr weiß, wo die Tablette ist. Ganz wichtig sind in jedem Fall Aufklärungsveranstaltungen, bei denen die Bürger über die Wirkung und den Umgang mit den Tabletten informiert werden.

Jodtabletten gegen einen Super-Gau - ist das nicht irgendwie wie ein Pflaster bei einer Armamputation?

Lampe Ja, natürlich. Das ist auch nur eine notwendige Maßnahme. Ansonsten ist es wichtig, in geschlossenen Räumen zu bleiben, um dem radioaktiven Fallout zu entgehen, das Radio einzuschalten und auf Anweisungen zu warten.

OB Reiners hat zusammen mit anderen Verwaltungsspitzen in Brüssel ein Protestschreiben abgegeben, in dem die EU aufgefordert wird, alle Informationen über den Zustand der umstrittenen Reaktoren weiterzugeben. Werden wir überhaupt über alle Pannen informiert?

Lampe Es gibt natürlich die Informationspflichten der Betreiber, aber wenn etwas passiert, werden zunächst die belgischen Behörden informiert. Ehe die Infos bei uns ankommen, sind 24 Stunden vergangen. Man muss bei der Interpretation der vielen Abschaltungen allerdings auch vorsichtig sein. Ein Störfall kann auch schon zustande kommen, weil ein überaus empfindliches Messsystem angeschlagen hat. Das muss noch keine Panne sein.

Sie haben schon immer Hochleistungssirenen für Mönchengladbach gefordert. Wie ist der Stand ?

Lampe Der Auftrag für den Innenstadtbereich ist vergeben, und die erste Sirene ist auf dem Bethesda montiert worden. Für die gesamte Innenstadt wird es 22 Sirenen geben, die mit jeweils 75 Dezibel beschallen. Die ersten hörbaren Testläufe sind für Ende September, eher Oktober, vorgesehen. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt auf die Sirenen als Warnsystem setzen. Jetzt muss die Bevölkerung noch informiert werden, wie sie auf die Sirenen reagieren sollte. Es muss klare Anweisungen und Handreichungen geben.

Gibt es außer Sirenen noch andere Warnmethoden? Apps zum Beispiel?

Lampe Zum einen wird mit Warnfahrzeugen informiert. Die Wagen fahren durch die Straßen und machen Durchsagen. Zum anderen werden wir intelligente Sirenen haben, mit denen man ebenfalls Durchsagen machen kann, die aber auch sequenziell einsetzbar sind. Das heißt: Nur bestimmte Bereiche werden gewarnt, nicht gleich die ganze Stadt. Das ist z. B. bei Bombenfunden sinnvoll. Und dann gibt es noch die Warn-App NINA. Die ist grundsätzlich gut, aber noch nicht ganz ausgereift. Beim Empfänger laufen momentan noch Warnungen aus ganz Deutschland auf. Das ist nicht sinnvoll, damit verheize ich die App, weil irgendwann niemand mehr auf die Warnung reagiert.

Neulich gab es einen großflächigen und lang andauernden Netzausfall bei der Telekom. So etwas wäre doch auch für die Feuerwehr ein Problem.

Lampe Ja, aber wir haben Vorrangschaltungen, damit wir auch im Katastrophenfall, wenn das Netz in die Knie gehen sollte, arbeitsfähig bleiben. Zum Teil greifen wir auch direkt auf Satelliten zu. Aber es ist richtig: Wir haben uns abhängig gemacht vom Funktionieren der Infrastruktur. Deshalb haben wir auch Krisenszenarien entwickelt, um handlungsfähig zu sein, wenn der Strom ausfällt oder Telefon, Wasser, Abwasser oder Gas. Ohne Strom nutzt die beste Technik nichts. Wir haben deshalb auch einen großen Generator angeschafft.

Sturm, Starkregen. In jüngster Zeit gibt es fast täglich Wetterwarnungen. Müssen wir uns auf markante Wetterlagen einstellen?

Lampe Ja, auch für die Feuerwehr bedeutet das, sich neu auszurichten. Inzwischen haben wir zweimal im Jahr Starkregen und zweimal im Jahr Sturmlagen. Aus diesem Grund haben wir die Vorhaltung von Tauchpumpen und Motorsägen ausgeweitet.

Früher stand Mönchengladbach bei Starkregen regelmäßig unter Wasser. Diesmal sind wir gut davongekommen. Wirken die Maßnahmen?

Lampe NEW und Niersverband haben eine sehr gute Arbeit geleistet. Es sind Flächen geschaffen worden, die große Wassermengen aufnehmen. Aber ganz lässt sich die Gefahr nicht bannen. Wir haben gesehen, wie kleine Bäche zu reißenden Flüssen wurden. Deshalb haben wir vor kurzem am Nordkanal eine große Sandsackübung gemacht.

Sie sind seit fast dreißig Jahren bei der Feuerwehr. Ist der Beruf gefährlicher geworden?

Lampe Es brennt genau wie früher, aber was verbrennt, ist heute zum Teil hochtoxisch. Früher gab es Gefahren durch Kohlenmonoxid, heute kommen zum Beispiel Blausäure und Stickoxide dazu. Auch im Bereich der technischen Hilfeleistung hat sich viel verändert. Wir sind heute fast täglich auf der Autobahn bei Unfällen im Einsatz. Entwicklungen wie Airbags und Seitenaufprallschutz machen uns die Rettung schwer. Man muss außerdem erkennen, ob es Benziner oder Diesel sind, Hybrid- , Gas- oder Elektrofahrzeuge. Bei Lkw-Unfällen kommt man nur noch mit schwerem Gerät weiter.

Immer wieder hört man in den Medien von aggressiven und gewalttätigen Übergriffen. Auch Retter sind davon betroffen. Wie sieht es bei der Feuerwehr Mönchengladbach aus?

Lampe Vor allem die Respektlosigkeit überschreitet das Maß des Erträglichen, aber es gab auch Bisse und einen Bruch des Handgelenks. Man muss in jedem Fall dagegen vorgehen. Wenn ein Mitarbeiter eine Strafanzeige erstatten will, unterstützen wir ihn dabei. Im Großen und Ganzen ist das Problem in Mönchengladbach zwar vorhanden, aber nicht dramatisch.

Ist der Beruf des Feuerwehrmannes bzw. der Feuerwehrfrau noch attraktiv? Oder haben Sie Nachwuchssorgen?

Lampe Wir haben jetzt noch keine Nachwuchsprobleme, werden sie aber morgen bekommen. Wir merken, dass die Zahl der Bewerber zurückgeht. Wir müssen jetzt schon gegensteuern und neben der Voraussetzung einer Handwerksausbildung die Möglichkeit anbieten, in 18 Monaten Grundfertigkeiten in drei Gewerken zu erlangen. Düsseldorf hat diesen Weg gewählt. Danach folgt dann die Feuerwehrausbildung und dann gegebenenfalls die Ausbildung zum Notfallsanitäter.

Zum Schluss die Frage: Gab es noch etwas besonders Kurioses oder Erstaunliches?

Lampe Ja, ich habe neulich zufällig mitbekommen, wie die Kollegen nach dem Anruf einer Frau aus Niedersachsen, die ihren Vater nicht erreichen konnte, geradezu detektivisch arbeiteten. Weil der Vater das Haus verkaufen wollte, fanden sie über einen Immobilienmakler die Adresse heraus, schickten einen Wagen hin und fanden den Mann, der einen Schlaganfall gehabt hatte. Er hat überlebt.

GABI PETERS, ANGELA RIETDORF UND DIETER WEBER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(arie)
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