Mönchengladbach Wie die Innere Mission zum Segen Rheydts wird

Mönchengladbach · Einflussreiche protestantische Familien engagieren sich in Rheydt, um die soziale Lage zu verbessern. Wolfgang Löhr zeichnet in seinem Vortrag die 150-jährige Geschichte eines rührigen Vereins nach.

 Wolfgang Löhr, Stadtarchivar im Ruhestand, berichtete in der Hauptkirche über die Innere Mission und beschrieb das Wirken des Vereins.

Wolfgang Löhr, Stadtarchivar im Ruhestand, berichtete in der Hauptkirche über die Innere Mission und beschrieb das Wirken des Vereins.

Foto: rietdorf

Es ist eine Zeitreise, ein Ausflug ins alte Rheydt. Während der ehemalige Stadtarchivar Wolfgang Löhr die Geschichte des Vereins für Innere Mission und seines Gründers Franz Balke in seinem Vortrag lebendig werden lässt, erscheinen auf der Leinwand neben ihm Bilder aus der Rheydter Vergangenheit. Die älteste Aufnahme der evangelischen Kirche, Vorgängerin der heutigen Hauptkirche, mit Pfarrhaus und Pfarrgarten zum Beispiel, eine fast ländliche Idylle aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine frühe Stadtansicht, ebenfalls sehr ländlich geprägt. Dann die Gebäude: das Gemeindehaus, das Waisenhaus, das Diakonissenheim und vieles mehr - Rheydt, wie es einmal war.

Ins 19. Jahrhundert führt der Vortrag, den Löhr anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Vereins für Innere Mission in Rheydt im Rahmen der Reihe "Donnerstags ½ 8 Uhr" in der Hauptkirche hält. "Hinwendung zum Nächsten" hat er ihn genannt und passenderweise führt Olaf Nöller, evangelischer Pfarrer in Rheydt und im Vorstand des Vereins, mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter in den Abend ein. Samariter werden gebraucht im Rheydt des beginnenden Industriezeitalters, denn die soziale Lage verschärft sich. "Es ist eine Zeit voller Umbrüche", erklärt Löhr. Den Pastor Franz Balke lässt das nicht ruhen. Er ist zwischen 1848 und 1889 evangelischer Pfarrer in Rheydt und von der Erweckungsbewegung mit ihrer Betonung praktischen christlichen Handelns geprägt. Die Frage sozialer Ungleichheit und der herablassende Blick auf die Armen treiben ihn um.

1859 gründet er Hephata als erste Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung im ganzen Königreich Preußen. 1865 fordert er, sich aus christlicher Fürsorge der Epileptiker anzunehmen - in Bielefeld wird daraufhin eine entsprechende Einrichtung gegründet. 1868 schließlich gibt Balke den Anstoß zur Gründung des Vereins für Innere Mission in Rheydt. Die Idee kommt in den führenden Kreisen Rheydts an, die Mitgliederliste liest sich wie ein Who's Who der einflussreichen protestantischen Familien der Stadt. Die evangelischen Honoratioren sind auch großzügige Spender. Der Verein übernimmt nicht nur das Gehalt der Gemeindeschwestern, Schenkungen machen den Kauf eines Hauses an der Düsseldorfer Straße möglich, das als "Altersversorgungsheim" genutzt wird. Den Alten gilt Balkes besonderes Augenmerk, denn durch die Industrialisierung beginnen die Familienstrukturen zu zerfallen, die bisher für ein Auskommen im Alter gesorgt hatten. Der Verein baut ein Gemeindehaus, in dem bis zu 1600 Personen Platz finden, eröffnet 1886 ein Waisenhaus und investiert schließlich in ein Diakonissenhaus. Auch Kindergärten und ein Jugendheim für Lehrlinge werden von der Inneren Mission betrieben.

Während der Nazi-Diktatur erkennen die Verantwortlichen, dass der Verein, weil nicht gleichgeschaltet, Gefahr läuft, die Gemeinnützigkeit zu verlieren und übertragen die Mehrzahl der Einrichtungen auf die Kirchengemeinde Rheydt. Diese Übertragung wird nach Kriegsende nicht wieder rückgängig gemacht. Stattdessen wendet sich der Verein für Innere Mission wieder der Sorge für ältere Menschen zu und baut mit dem Haus am Buchenhain ein evangelisches Altenheim, das rasch erweitert werden muss und bis heute vom Verein betrieben wird.

Das 150-jährige Bestehen des Vereins wird noch einmal mit einem Festgottesdienst am 4. März um 10.30 Uhr in der Ev. Hauptkirche Rheydt gefeiert.

(RP)
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