Serie Was Macht Eigentlich? Sturkopf und Trainer-Dinosaurier

Mönchengladbach · Dieter Wolf ist 79 und immer noch Leichtathletik-Trainer beim 1. FC - seit 46 Jahren. Mit Sport hat er als Zwölfjähriger die Kinderlähmung überwunden. Weil er als Kind am Kriegsende sehr Schlimmes erlebt hat, kann er heute das Leid vieler Flüchtlinge gut nachvollziehen.

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Foto: Müller-Bringmann (1), KN

Was fällt Wolfgang Heisters auf Anhieb zu Dieter Wolf ein? "Er ist ein Sturkopf", sagt der Ehrenvorsitzende des 1. FC Mönchengladbach. Diese Sturheit kann schon mal nerven, aber sie macht auch berechenbar - im positiven Sinne. "Stur heißt bei ihm auch zuverlässig und ehrlich. Wenn Dieter Wolf sich etwas vorgenommen hat, dann tut er alles, um es durchzusetzen", sagt Heisters: "Und ich kenne ihn seit bald 40 Jahren."

1969 ist Wolf beim 1. FC gelandet, geschickt von den Kollegen beim Maschinenbauer Mannesmann-Meer, zu dem er gerade aus Herford gekommen war. "Ich habe gefragt, wo ich nach Feierabend etwas Sport treiben könnte", erzählt Wolf. Sie haben ihm die paar Schritte über die Straße zur Ernst-Reuter-Sportanlage erklärt: Ein kurzer Weg, der zu einer nun schon 47 Jahre währenden Beziehung führen sollte. Mit heute immer noch offenem Ende.

Er ist schon lange der dienstälteste "Übungsleiter" im weiten Umkreis. Seit 1980 hat Wolf die Trainer-A-Lizenz, die höchste Qualifikation. "Dieter Wolf hat hier in der Leichtathletik viel bewirkt", sagt sein sportlicher "Gegenspieler" in Mönchengladbach, Johannes Gathen, beim LAZ Trainer der Jugend und Junioren und dazu Geschäftsführer: "Hochqualifizierte Leute wie ihn gibt es in der Leichtathletik leider immer weniger."

Zum Sport gekommen ist Dieter Wolf 1947 als knapp Zehnjähriger auf "ärztliche Verordnung". Er lebte nach der Flucht aus seiner Heimstadt Breslau mit Mutter, Bruder und Schwester (der Vater kam nicht aus dem Krieg zurück) in einer Baracke Heidenoldendorf bei Detmold. Und wurde schwer krank: Spinale Kinderlähmung und Hirnhautentzündung lautete die lebensbedrohliche Diagnose. "Ich wurde zum Glück gut behandelt und nach etwa sechs Monaten entlassen", erzählt er. "Mit der Auflage, dass Folgendes erfüllt würde: gutes Essen, viel Obst, Milch und Sport."

Doch das war nicht so einfach, nicht nur, weil nach dem Krieg gute Ernährung ein Problem war. "Ich habe mich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in einem Verein angemeldet - und erlebte mein blaues Wunder. Von wegen Integration: Ich war als Flüchtling alles andere als willkommen, wurde beschimpft und als Prügelknabe benutzt." Bis er bei einer Bauernfamilie untergebracht wurde, die einen Jungen suchte, der der Bäuerin zur Hand ging. Von da an lebte er auf dem Bauernhof, bekam gutes Essen, Obst und Milch, wurde im Sportverein Hörste als Fußballer angemeldet - und war auf einmal kein Flüchtling mehr, sondern einer, der zur Familie gehörte. Die Zeit mit grauenvollen Erlebnissen war vorüber, nach mehr als zwei Jahren.

Am 28. Januar 1945, fünf Tage nach Beginn der Schlacht um die Festung Breslau, hatte Wolfs Großvater es als Beschäftigter der Reichsbahn geschafft, die drei Wolfs in den allerletzten Zug zu setzen, der die Stadt verlassen durfte. Doch der Schrecken war nicht zu Ende. In Sebniz (Tschechien) wurden Dieter und sein Bruder beim Versuch, etwas zu Essen zu besorgen, von Flugzeugen beschossen. "Unsere Rettung war ein kleiner Bach, an dessen Ufer wir uns verstecken konnten." Dann ging der Krieg zwar zu Ende, doch es kamen nach den Amerikanern und den Deutschen die Russen. "Zuerst die Kampftruppen, dann die Kommandierenden. Sie bescherten den Frauen und Mädchen eine im negativen Sinn unvergessene Nacht", erinnert sich Dieter Wolf noch heute schaudernd.

Im Treck ging es weiter, Richtung Schlesien, zu Fuß, im Pferdewagen oder offenen Güterzügen. Im Frühjahr 1947 war der mehr als zwei Jahre währende Weg endlich zu Ende. Dieter Wolf wurde in der Bauernfamilie Budde und im Sportverein Hörste gut aufgenommen. Er spielte von 1949 bis 1952 in der Fußball-Jugend, die Folgen der schweren Krankheit waren schließlich vollständig überwunden. Dieter Wolf ging wieder zur Schule, übersprang eine Klasse, machte eine dreieinhalbjährige Lehre in Bielefeld zum Maschinenbau-Schlosser, ging zur Abendschule und danach drei Jahre zur Bundeswehr, um sein anschließendes Studium zum "Masch. Dipl. Ing." finanzieren zu können. Er arbeitete als Konstrukteur und Projektleiter bei renommierten Firmen - und landete dann 1969 bei Mannesmann-Meer in Mönchengladbach. Diese Stadt ist seine neue Heimat geworden, seit mittlerweile 47 Jahren.

Seine Erlebnisse der Nachkriegszeit lassen Dieter Wolf gerade jetzt die Leiden der Flüchtlinge von heute sehr gut nachvollziehen. Er ist froh und stolz, dass "seine" Abteilung im 1. FC immer schon Wert auf die Integration von Sportlern aus aller Welt legt: "Das war für meine Frau und mich eine Selbstverständlichkeit. Sonst hätten nicht zeitweise Sportler aus bis zu 16 Nationen zu uns gehört."

(RP)
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