Serie Zu Besuch Im Schrebergarten (2) "Welcome" im Windberger Sommerregen

Mönchengladbach · Irmgard Schlecht teilt ihren Kleingarten mit einer Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan. Ohne deren Hilfe hätte sie den Garten aufgeben müssen.

 Zusammen mit Irmgard Schlecht (v. l.) teilen sich die Hadares, das sind v.l. Mobina (6), Mutter Shafiga (25), Maryam (9), der kleine Matin (1) und Vater Hussein (33), einen Schrebergarten in Windberg.

Zusammen mit Irmgard Schlecht (v. l.) teilen sich die Hadares, das sind v.l. Mobina (6), Mutter Shafiga (25), Maryam (9), der kleine Matin (1) und Vater Hussein (33), einen Schrebergarten in Windberg.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Wenn sie nur hoch genug hüpft, trägt sie der deutsche Wind unter ihrem gepunkteten Regenschirm davon. Weit weg an einen Ort, an dem keine Bomben fallen und die Bilder aus ihrem kleinen Kopf verschwinden. Bilder, die ihre Mutter Shafiga Zikrja noch immer auf dem Smartphone mit sich trägt. Mobina ist sechs Jahre alt und lebt jetzt in Deutschland. "Huii", macht sie, springt mit dem Schirm in die Luft und blickt nach vorne.

 Ein Rezepttipp von Familie Hadare. Dazu servieren sie Tomaten-Gurken-Salat mit Gemüse aus dem Schrebergarten. Zutaten für 6 Personen: 500 g Reis, Basmati 1 kg Rindfleisch 200 g Zwiebeln 1/2 TL Kardamom 1/2 TL Pfeffer 2 TL Salz 120 ml Öl, neutrales 750 ml Wasser 100 g Rosinen 500 g Karotten etwas Zucker

Ein Rezepttipp von Familie Hadare. Dazu servieren sie Tomaten-Gurken-Salat mit Gemüse aus dem Schrebergarten. Zutaten für 6 Personen: 500 g Reis, Basmati 1 kg Rindfleisch 200 g Zwiebeln 1/2 TL Kardamom 1/2 TL Pfeffer 2 TL Salz 120 ml Öl, neutrales 750 ml Wasser 100 g Rosinen 500 g Karotten etwas Zucker

Foto: Lisa Kreuzmann

"Look", sagt Shafiga Zikrja, und zeigt ihrer kleinen Tochter die Fotos von leblosen Körpern, zerbombten Häusern und blutenden Wunden auf dem kleinen Handybildschirm. Um sie herum prasselt der deutsche Sommerregen und wächst das heimische Grünzeug. An der kleinen weißen Gartenhütte hängt eine gusseiserne Wanddekoration, die sich der Patina zufolge nicht erst seit gestern dort befindet. "Welcome", sagt die Dekoration. Willkommen in Windberg.

Das neue Hier der Familie Hadare ist eine Wohnung und ein Schrebergarten in Mönchengladbach. Die alte Heimat ist Afghanistan. Im Oktober 2015 ist das Ehepaar Hadare zunächst über die Türkei, dann über die sogenannte Balkanroute nach Deutschland geflüchtet. Als sie am Münchener Hauptbahnhof ankamen, hat dort niemand mehr geklatscht. Die Hadares könnten glücklicher nicht sein, in Deutschland zu leben, sagen sie. An das, was noch kommen mag, wollen sie lieber nicht denken. "Im Zug kam ein Polizist und hat nach Pass gefragt", erzählt Hussein Hadare. Er spricht ganz gut Deutsch, wenn da nur die Artikel nicht wären. "Und Plural", sagt er. Plural sei im Deutschen besonders schwierig. Für einige Wochen lebte die Familie in einem Flüchtlingsheim in Bielefeld. Dann kamen die Hadares nach Mönchengladbach. Über die Organisation San't' Egedio haben sie die Gladbacherin Irmgard Schlecht kennengelernt. "Ich brauchte jemanden im Garten", sagt die Windbergerin. Also habe sie die Initiative ergriffen. "Der Garten ist zu groß für mich. Ich hätte ihn aufgeben müssen." Jetzt teilen sich Shafiga Zikrja und Hussein Hadare mit ihren drei Kindern den Schrebergarten mit ihr. "Hussein hilft mir viel", sagt Irmgard Schlecht. "Er hat die Terrasse neu gepflastert und kümmert sich um die Pflanzen", erzählt die Gladbacherin, die von sich selbst sagt, keine talentierte Gärtnerin zu sein.

Die junge Familie hat eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Sie dürfen noch bis März 2018 in Deutschland bleiben. Dann soll neu entschieden werden. Knapp 20.000 US-Dollar hat das Paar für die Flucht ausgegeben. "Ich habe fünfmal für Boot nach Griechenland bezahlt", erzählt Hussein Hadare. Viermal sei das Boot trotz Vereinbarung nicht gekommen.

Die Hadares sind vor den Taliban geflohen. Sie gehören der ethnischen Gruppe der Hazara an, persischsprachige Schiiten mongolischer Abstammung, die Afghanistans drittgrößter Ethnie stellen und von den sunnitischen Taliban diskriminiert und verfolgt werden. In Afghanistan hatte die Familie ein kleines Fachgeschäft für Heizungen, ein Auto und ein Haus.

Die Eltern hat das Paar zurückgelassen. Jetzt sorgen sie sich um Irmgard Schlecht, die Zahnschmerzen hat. Sie bekommt einen "Irma-Tee". Das ist Pfefferminztee. Die Hadares trinken lieber schwarzen Tee. Wer was mag, haben sie untereinander schon ausgeklügelt. "Wir sind Freunde", sagt Irmgard Schlecht, die selbst keine Kinder hat. "Ja, Freunde", sagt Hussein Hadare. Der 33-Jährige möchte eine Ausbildung zum Automechaniker machen. Aktuell besucht er das Weiterbildungskolleg Linker Niederrhein, macht einen Sprach- und einen Integrationskurs. Er hofft auf einen guten Schulabschluss. "Ist normal", sagt er, "in Afghanistan auch so. Wenn machen gute Schule, du kannst haben gutes Leben", sagt er und lacht.

Die älteste Tochter, Maryam (9), geht bald in die dritte Klasse. Ihre kleine Schwester Mobina besucht den Kindergarten. Ihre liebsten Freundinnen heißen Zoe, Clara und Chiara. Untereinander reden die Schwestern nur Deutsch, erzählt der Vater stolz.

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