Analyse Ein Sieg mit Mängeln ist auch ein Sieg

Es hätte auch anders kommen können. "Wenn kleine Details anders laufen, verlieren wir das Spiel", sagte Matthias Ginter. Der Beleg für diese These war der Fauxpas des Hannoveraners Martin Harnik, der den Ball kurz vor Spielende aus zwei Metern an die Latte statt ins Gladbacher Tor schoss. Es wäre der K.o.-Schlag für die Borussen gewesen, und zwar einer, der extrem wehgetan hätte: Nach dem 1:6 in Dortmund das Heimspiel gegen den Aufsteiger Hannover zu verlieren, das zweite schon in dieser Saison nach dem 0:1 gegen Frankfurt, und dieses Gefühl mitzunehmen in der Länderspielpause - das wäre psychologisch eine hohe Hausnummer gewesen.

Doch Harnik schoss den Ball eben nicht ins Tor und eröffnete damit die Chance zum 2:1-Sieg, den der Elfmetertreffer von Thorgan Hazard möglich machte. So standen zwischen dem "grünen Bereich" der Tabelle, in dem sich die Borussen nun befinden, und möglicherweise Alarmstufe Rot nur wenige Zentimeter. Das Spiel hätte beides hergegeben. Borussia spielte nicht gut, tat sich schwer gegen den gut organisierten Gegner und am Ende war es ein Sieg aus der Kategorie "glücklich".

So war es mehr Gewerkel als Glanz, es wird immer deutlicher, dass diese Saison den Borussen nicht leicht vom Fuß geht. Die Symbolfigur ist Raffael. Der "Maestro", der für alles Schöne und Gute steht, das man den Borussen und ihrem Fußball zutrauen darf, ist noch nicht angekommen in dieser Spielzeit, daran haben auch seine Tore gegen Stuttgart nichts geändert. Und ohne Raffael können auch Lars Stindl und Thorgan Hazard nicht frei von der Leber weg zaubern, es fehlt ein wichtiger spielerischer Aspekt. Raffael ist gefordert, sich zu steigern. Das gilt aber auch beispielsweise für Fabian Johnson, der wie schon in Dortmund weit, weit unter seinen Möglichkeiten blieb. Alles in allem: Die Borussen müssen sich in die Saison reinarbeiten, das wurde auch gegen Hannover deutlich.

Aber: Dafür, dass die Gladbacher nur phasenweise spielerisch überzeugen konnten, ist die Punkte-Zwischenbilanz ordentlich. Elf Punkte nach sieben Spielen, das sind 1,6 im Schnitt - was am Ende 53 wären. Damit wäre Borussia dran an Europa. Was wirklich schmerzt, ist nach wie vor die Heimniederlage gegen Frankfurt, wegen dieser sind die Gladbacher in der Buchhaltung nach wie vor mit einem Punkt im Minus. Es fehlte nicht viel, und gegen Hannover wären zwei oder gar drei rote Punkte dazu gekommen, das wäre dann ein dickes Brett gewesen. Aber, und das muss man so lapidar sagen: Es ist nicht so gekommen.

Sicherlich wäre ein glanzvoller und klarer Sieg mehr geeignet gewesen, um sich für das Debakel von Dortmund zu rehabilitieren. Es war indes spürbar, dass das 1:6 von Dortmund noch mitspielte an diesem Nachmittag. Was die Spielkultur angeht, gibt es derzeit nur Ansätze. Borussia steht nun mal für eine gewisse Ästhetik im Spiel, und das ist auch der Anspruch, den das Team haben muss. Doch nach einem Niederschlag wie in Dortmund ist die A-Note wichtiger als die B-Note, gewinnbringende Details sind wichtiger als schöne Momente ohne Effekt. Schöner wäre schön gewesen, doch ging es wohl erst mal darum, sich wieder aufzurappeln. Dass die Details anders hätten laufen können, ist ein Konjunktiv. Real sind drei Punkte. Denn ein Sieg mit Mängeln und einem "Lucky Punch" (Ginter) ist am Ende auch ein Sieg.

PS: Neuerdings gibt es das offizielle Heimtrikot zum reduzierten Preis. Es scheint ein Auslaufmodell zu sein. Denn die Borussen spielen lieber in den schwarz-weißen Hemden. Warum? Weil sie daheim immer gewonnen und auswärts noch nicht verloren haben in dieser Kluft, die in der offiziellen Kleiderordnung als "Event-Trikot" ausgewiesen ist. Zum echten Event fehlt noch was. Erst mal ist es "nur" das Ungeschlagen-Trikot. Kleider machten Punkte.

KARSTEN KELLERMANN

(RP)
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