Klaus Paulsen Singen ist intensives Sprechen

Mönchengladbach · Der Münsterkantor erklärt die Bedeutung des Singens zu Ostern. Als Fachleiter für Gesang an der Musikschule arbeitet er daran, Blockaden bei seinen Schülern zu lösen, die oft aus der Kindheit stammen. Er sagt: "Singen macht selbstbewusst."

 Musik ist die emotionalste Kunst. Sie spricht das an, was man nicht mit Worten sagen kann., sagt Klaus Paulsen.

Musik ist die emotionalste Kunst. Sie spricht das an, was man nicht mit Worten sagen kann., sagt Klaus Paulsen.

Foto: Detlef Ilgner

"Wenn sie es nicht singen, dann werden sie es nicht glauben", sagte Martin Luther. Auch für Klaus Paulsen, Münsterkantor und Fachleiter für Gesang an der Städtischen Musikschule, ist Gesang die intensivste Art ist, die Botschaft Jesu zu verkünden. Er erklärt, was für eine starke Wirkung das Singen auf die Menschen hat und welche Rolle es gerade zu Ostern spielt.

Ostern ist das wichtigste Fest der Christen. Haben auch das Singen und die Musik eine besondere Bedeutung?

Klaus Paulsen Musik ist in der Karwoche ein wichtiges dramaturgisches Stilmittel. Am Gründonnerstag wird in der Kirche nach dem Gloria nur noch unbegleitet gesungen. Die Orgel spielt nicht, die Glocken läuten nicht. Das bleibt am Karfreitag so und bis zur Osternacht am Karsamstag. Die Ostermesse beginnt still, und erst zum Gloria kehren Orgel und Glocken feierlich zurück. Und auch das Halleluja, das wir während der gesamten Fastenzeit nicht gesungen haben.

Nur das Singen bleibt also an diesen Tagen. Wie zentral ist die Rolle des Singens in der Kirche?

Paulsen Die Kirche singt immer. Das hat mich schon als Kind tief beeindruckt. Sie singt bei freudigen Anlässen, aber auch, wenn ein weißer Kindersarg in der Kirche steht. Das ist für mich das Allerschlimmste. Aber das Singen hilft uns, es zu ertragen.

Welche Funktion hat Singen in der Messe?

Paulsen Der Gesang im Gottesdienst ist nicht nur ein schöner Schmuck. Sondern er ist ein genauso wichtiger Teil wie das gesprochene Wort. Singen ist für mich ein ge-sungenes Gebet. Es hat eine andere Dimension als Denken und Reden. Es kommt aus unserem tiefsten Inneren. Meine persönliche Theorie ist: Das Gewölbe der Kirche hat die gleiche Rundung wie der menschliche Gaumen. In beiden formt sich der Klang der Stimme.

Was unterscheidet Singen vom Sprechen?

Paulsen Singen ist für mich intensiveres Sprechen. Das gesungene Wort steigert beim Gottesdienst die Verkündigung. Durch Wiederholungen prägen sich die Worte nachhaltig ein. Und vor allem: Musik ist die emotionalste Kunst. Sie spricht das an, was man nicht mit Worten sagen kann. Sie geht so tief wie keine andere Kunstform. Wenn wir singen, wenn wir nur mit unserem eigenen Körper Musik machen, ist das für mich die reinste und edelste Form.

Hat Singen für Sie etwas mit Gott zu tun?

Paulsen Absolut, Singen hat immer eine göttliche Ebene. Im Gesang leuchtet unsere eigene Göttlichkeit auf. Ich erlebe es manchmal so, dass ein Stück vom Himmel auf die Erde kommt. Der indische Philosoph Tagore hat gesagt: "Gott achtet dich, wenn du arbeitest. Aber er liebt dich, wenn du singst."

Welche Musik spricht Sie selbst am meisten an?

Paulsen Besonders mag ich Renaissance-Musik wie die a capella-Messe von Hans Leo Haßler, die wir am Ostersonntag um 11 Uhr in der Münster-Basilika aufführen werden. Da singt ein achtstimmiger Doppelchor, es erklingt nur die menschliche Stimme ohne schmückendes Beiwerk. Wenn ich so eine Musik höre, gibt es Momente, da vergesse ich den Alltag und alles um mich herum. Dann bin ich eins mit Gott und glücklich. Ich spüre wirklich seine Gegenwart.

Viele Menschen sagen: Ich kann überhaupt nicht singen. Was meinen Sie dazu?

Paulsen Ich bin fest überzeugt, dass jeder Mensch singen kann. Das Problem ist, dass manche in ihrer Kindheit traumatisiert wurden. Sie haben so starke Hemmungen, dass sie sich nicht mehr trauen. Das ist sträflich, denn man hat sie einer zutiefst menschlichen Ausdrucksmöglichkeit beraubt.

Wie können Sie als Lehrer dann helfen?

Paulsen Am wichtigsten ist Geduld. Es kann Jahre dauern, bis sich der Knoten löst. Schüler stehen anfangs oft steif da. Aber der Körper muss mitgehen, wir singen auch mit Bauch, Armen und Beinen. Singen stärkt das Selbstbewusstsein enorm. Aber bei manchen muss es im Unterricht erst wachsen. Ein Sänger kann sich nicht hinter seinem Instrument verstecken. Er muss sein Innerstes nach außen kehren.

SILKE JÜNGERMANN-SCHNETTLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(sjs)
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