Carsten Knoch und Thomas M. Claßen "Rad ist das urbane Verkehrsmittel der Zukunft"

Mönchengladbach · Carsten Knoch, der Mobilitätsbeauftragte der Stadt, und das Vorstandsmitglied vom ADFC Mönchengladbach, Thomas M. Claßen, über Radschnellwege und schnelle Radwege.

 Carsten Knoch (l.), Mobilitätsbeauftragter der Stadt, und Thomas M. Claßen vom ADFC sprechen über Radverkehr in Mönchengladbach.

Carsten Knoch (l.), Mobilitätsbeauftragter der Stadt, und Thomas M. Claßen vom ADFC sprechen über Radverkehr in Mönchengladbach.

Foto: Raupold

Herr Knoch, wie viele Wege legen Sie im beruflichen Alltag mit dem Rad zurück?

Knoch Mir steht als Dienstfahrrad ein Pedelec zur Verfügung, und das benutze ich auch für fast alle Wege, es sei denn, es stürmt und schneit. Dann fahre ich mit Bus und Bahn. Für den Weg zur Arbeit kombiniere ich Fahrrad und Bahn. Freitags fahre ich auch schon mal mit dem Fahrrad zurück nach Hause.

Und Sie, Herr Claßen? Wie viele Kilometer schaffen Sie so in der Woche per Rad?

Claßen Im Sommer komme ich auf 150 Kilometer in der Woche, im Winter sind es etwa siebzig bis achtzig.

Herr Knoch, was ist Ihnen als erstes aufgefallen, als Sie in Mönchengladbach angefangen haben? Wo stand die Stadt bei Radverkehr?

Knoch Es war schon deutlich, dass es einen Nachholbedarf in Mönchengladbach gab, was den Radverkehr anging. In vielen Städten in Deutschland wurde vor dreißig Jahren damit begonnen, Radverkehr zu fördern. In Mönchengladbach nicht. Deshalb ist das Radwegenetz nicht durchgängig und auch nicht nach dem aktuellen Stand der Technik gebaut.

Claßen Die Politik hat in letzter Zeit einiges Positive angeschoben. Die junge Garde der Mehrheitsfraktionen hat schon was bewegt. Aber in der Realität haben nicht nur die Radwege, sondern auch die Straßen Pferdekarrenniveau. Es muss sich dringend mehr verändern.

Von den 420 Kilometern des Radwegenetzes sind 170 Kilometer, also 41 Prozent, mit Mängeln behaftet.

Claßen Die Zahl halte ich für zu niedrig. Gefühlt sind das eher 80 bis 90 Prozent.

Was muss in Mönchengladbach geschehen, damit das Rad flächendeckend zur Alternative werden kann? Nur sechs Prozent der Wege wurden 2010 per Rad zurückgelegt.

Knoch Ja, der Modal-Split ist in dieser Stadt ungünstig. Der Anteil des Autoverkehrs ist sehr hoch, der der Fußgänger und Radfahrer im Vergleich zu anderen Städten niedrig. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass die Infrastruktur nicht gut ist. Aber eigentlich haben wir am Niederrhein gute Bedingungen fürs Radfahren. Welche Mängel müssen behoben werden, um die Leute für Radfahren zu begeistern?

Knoch Die Radwege entsprechen nicht dem heutigen Stand der Technik. Die Regeln, nach denen Radwege angelegt werden, haben sich seit den 90er Jahren grundlegend geändert. Früher war es üblich, relativ schmale Radwege neben dem Gehweg anzulegen. Heute gibt es andere Standards. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es wichtig ist, die Radfahrer im Sichtfeld des Autofahrers fahren zu lassen. Radfahren auf der Fahrbahn ist daher in vielen Fällen sicherer. Deshalb werden zunehmend Radstreifen auf der Fahrbahn markiert.

Claßen Da muss ich widersprechen. Es ist richtig, dass es im Sichtfeld sicherer ist. Aber der ADFC ist der Auffassung, dass auch die gefühlte Sicherheit beachtet werden muss. Deswegen setzen wir uns für geschützte Radwege, sogenannte Protected Bike Lanes, ein. Dabei wird der Radstreifen physikalisch und optisch abgetrennt, zum Beispiel durch Blumenkübel. Das benötigt wenig Platz und gibt den Radfahrern Sicherheit. Keine Mutter wird mit ihrem Kind auf der Fliethstraße einen Radstreifen benutzen, der nicht abgetrennt ist.

Knoch Diese Position ist nach meiner Wahrnehmung auch im ADFC umstritten. Es gibt nun mal nicht den einen Radfahrer. Sportliche junge Fahrer haben andere Bedürfnisse als die Mutter mit Kind oder die ältere Dame.

Wäre eine Protected Bike Lane, also ein abgetrennter Radweg, denn eine Möglichkeit für die Fliethstraße und die Hittastraße?

Knoch An diesen beiden Straßen sehe ich die Möglichkeit nicht. Dadurch würden alle Parkplätze an der Seite wegfallen und das wäre politisch nicht durchzusetzen. An gefährlichen Stellen könnte ich mir im Einzelfall so etwas vorstellen, aber wir hätten insgesamt schon viel gewonnen, wenn wir den aktuellen Stand der Technik flächendeckend umsetzen würden.

Claßen Die Parkplätze müssen gar nicht wegfallen. Es gibt auch flexible Leitpfosten, die Durchlässe für Autos bieten.

Gäbe es denn eine Maßnahme, die schnell umsetzbar und effektiv wäre, um den Radverkehr zu fördern?

Claßen Ich kann jetzt keine Idee aus dem Hut zaubern, die nichts kostet. Es sind auch Land und Bund gefordert. Wenn ich sehe, dass im Bundesverkehrswegeplan 21 Millionen Euro für Radschnellwege eingestellt sind, das sind 0,01 Prozent, dann ist das für mich ein Witz.

Knoch Grundsätzlich ist es schon so, dass wir den Straßenraum neu aufteilen müssen. Früher wurde nur autogerecht geplant, heute müssen wir allen Verkehrsteilnehmern gerecht werden. Und das Auto ist sicherlich in der Stadt nicht das Verkehrsmittel der Zukunft.

Die Straße, auf der sich laut Umfragen die Radfahrer am unsichersten fühlen, ist die Bismarckstraße. Kann man diesen Flaschenhals des städtischen Verkehrs einerseits sicher für alle, andererseits leistungsfähig bekommen?

Claßen Es gibt da eine alte Lösung: die Bismarckstraße zur Einbahnstraße machen und den Verkehr im Kreis über Rathenaustraße, Fliethstraße, Hittastraße und Hohenzollernstraße zu führen. Dann hätte man genug Platz für breite Fahrradstreifen.

Knoch Das funktioniert verkehrstechnisch nicht. Aber man wird nicht umhin kommen, über die Aufteilung der Bismarckstraße zu diskutieren. Sie hat ja nicht nur eine Funktion für den Verkehr, sie ist auch Einkaufsstraße. Um diese Ausrichtung zu stärken, wären allerdings mutige politische Entscheidungen nötig. Dafür muss man vermitteln, was man gewinnt: nämlich Attraktivität. Die Stadtentwicklungsstrategie "mg+ Wachsende Stadt" wird Mönchengladbach neu positionieren. Zu einer lebenswerten Stadt gehört auch ein menschenfreundlicher Straßenraum. Wir brauchen letztendlich den Modal-Shift weg vom Auto hin zum Rad. Das Rad ist das urbane Verkehrsmittel der Zukunft.

Die Hohenzollernstraße wäre wie gemacht für einen Radschnellweg in der Mitte. Aber dort parken die Autos. Kann man das Problem lösen?

Knoch Der Mittelstreifen wäre fragwürdig, da bekommt man Probleme an den Einmündungen. Und Radschnellwege müssen einen Standard erfüllen. Innerstädtisch geht das nur mit einer Fahrradstraße oder drei Meter breiten Radfahrstreifen. Momentan endet die Planung für den Radschnellweg nach Krefeld am Nordring. Wir möchten ihn weiter durch die Stadt führen, da müssen verschiedene Varianten geprüft werden. Eine wäre die Hohenzollernstraße.

Claßen Man könnte schon auf der Hohenzollernstraße das Linksabbiegen verbieten und die Kreuzungen mit entsprechender Technik sichern. Außerdem muss es ja kein Radschnellweg sein. Ein schneller Radweg reicht auch.

Wo steht Mönchengladbach bei solchen Angeboten wie Leihfahrrädern?

Claßen Da sieht es schlecht aus. Neulich wollten zwanzig niederländische Studenten in der Stadt mit dem Rad unterwegs sein. 14 Räder mussten sie mitbringen, denn in Rheydt konnten sie nur sechs ausleihen.

Knoch In französischen Städten sind die Leihräder sehr erfolgreich. Das Beispiel zeigt, dass die Bürger dann auch so mehr Radfahren.

Was kann man noch tun, um das Radfahren zu fördern? Die Stellplätze für Autos verringern?

Knoch Das Angebot sorgt für die Nachfrage. Wenn man in neuen Wohngebieten, zum Beispiel auf dem Maria-Hilf-Gelände, Carsharing anbietet und gute Abstellmöglichkeiten für Räder schafft, wirkt das anders, als wenn dort hunderte von Stellplätzen für Autos zur Verfügung stehen.

Claßen Es ist wichtig, Mobilität immer mitzudenken. Und da stehen wir erst am Anfang. In der City Ost wird nur deshalb über einen Radschnellweg gesprochen, weil ein Rotterdamer Büro den Vorschlag gemacht hat. Auf dem Europaplatz zum Beispiel wird noch gar nicht darüber nachgedacht, was bei der Neugestaltung mit Fußgängern und Radfahrern passiert.

Wie sieht es mit den Abstellmöglichkeiten aus? In Düsseldorf gibt es Radabstellhäuschen in den Quartieren.

Knoch Wir haben das im Fokus. Eigentlich sind wir hier ganz gut aufgestellt. Es wird die zweite Radstation eröffnet, und es kommen 50 neue Radboxen dazu. In Rheydt gibt es flächendeckend gute Angebote, in der Gladbacher Innenstadt ist noch Nachholbedarf. Die Abstellhäuschen sind ein spannendes Thema.

Claßen Es hakt oft an den kleinen Dingen. Die Abstände zwischen den Fahrradbügeln sind zum Beispiel meist zu eng. Wäre der Abstand größer, könnte man doppelt so viele Räder unterbringen.

Letzte Frage: Welches ist Ihre liebste Fahrradstrecke durch die Stadt?

Knoch Das ist einfach: die Route zwischen Rheydt und Gladbach über Brucknerallee und Richard-Wagner-Straße.

Claßen Da schließe ich mich an.

ANDREAS GRUHN, DENISA RICHTERS UND ANGELA RIETDORF FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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