Mönchengladbach Obusse als zischende Gefährten

Mönchengladbach · Seit seiner Kindheit ist Jürgen Lehmann von Stangentaxis fasziniert. Jetzt ist sein neues Buch "Obusse in Deutschland" erschienen, das den Oberleitungsbussen in Rheydt ein aufwendig gestaltetes Kapitel mit vielen historischen und bisher unveröffentlichten Fotos widmet.

Rheydt Obusse begleiten Jürgen Lehmann schon fast sein ganzes Leben – seit er als kleiner Junge aus dem Fenster der Wohnung seiner Eltern am Marktplatz der Stadt Rheydt stundenlang die Stangentaxis und die schwingenden Oberleitungen beobachtete. Seit er mit acht Jahren begann, sich die Nummern der vorbeifahrenden beige-grünen Obusse zu notieren. "Das waren die Nummern 51 bis 69", erinnert er sich, "die Nummer 69 war mein Lieblingswagen – wegen seiner hellen Lackierung." Und wegen des langsamen Zischens, das der Obus auf seinem Weg Richtung Hauptbahnhof beim Vorbeifahren machte. "Jeder Obus zischte anders", sagt Lehmann und lacht.

Von dem Stuhl am Fenster des Eckhauses an der Hauptstraße/Brucknerallee in Rheydt hatte der junge Obusfreund einen optimalen Blick auf die Straße. Die schönsten Tage waren aber die, an denen er mit den Bussen fahren durfte. "Die Rheydter Obusse hatten wunderschöne rote Ledersitze." Das war ein Unterschied zu den anderen Modellen in Deutschland: In anderen Städten waren die Obusse zu dieser Zeit mit Schalensitzen oder gar Sperrholzbänken ausgestattet. "Es war immer leise, wenn man in einem Obus saß. Ein angenehmes Gefühl. Kein Vergleich zu den Dieselbussen", sagt Lehmann.

Mit Lego nachgebaut

Busfahrer oder Konstrukteur ist er deshalb aber nicht geworden, sondern Architekt mit einem großen Hobby. Als Jugendlicher begann er, Fotos zu sammeln und intensiver zu recherchieren: 1984 veröffentlichte er seinen ersten Artikel in einer Fachzeitschrift, 1991 folgte ein Buch über Obusse und Straßenbahnen in Rheydt. Lehmann erforscht die Geschichte der Obusse in Deutschland, spürt Details auf, erkundet Strecken und findet immer mehr historische Fotos. Einige noch unveröffentlichte Bilder finden sich auch in seinem neuen Buch, Band zwei der Reihe "Obusse in Deutschland." Es sind mehrere Farbfotos, die der Engländer David Pearson in den 70er Jahren in Gladbach aufgenommen hat. Auf diesen Bildern sieht man die rundlichen Busse, die sich durch die Stadtmitte von Rheydt, vorbei an grünen Wiesen, um Kreisverkehre oder über Bahnübergänge schlängeln. "Am Bahnhof Geneicken musste der Obus Nummer 60 seine Fahrt unterbrechen und den Hilfsmotor anschalten." Das funktionierte automatisch per Knopfdruck. "Meine Mutter fuhr diese Strecke zur Arbeit." Die Rheydter Obusse waren der erste Betrieb in Deutschland, die einen VW Hilfsmotor hatten. Sie stammten aus Uerdingen und fuhren bei der Übergabe mit 20 Stundenkilometern über den Rhein und die Landstraße Richtung Rheydt. Bis 1988 wohnte Lehmann in Mönchengladbach – die Leidenschaft für Obusse hat ihn nicht losgelassen, auch wenn die Stangentaxis seit 1975 nicht mehr auf Gladbachs Straßen fahren. "Sie sind alle verschrottet worden" – nicht ein einziger der Rheydter Busse ist von einem Sammler erhalten worden. "Trotzdem ist für mich der Obus nichts Antiquiertes", sagt Lehmann.

Noch immer fahren moderne Obusse in deutschen Städten – wie Solingen oder Esslingen. "Der Obus hat Zukunftspotenzial." Zum Beispiel als Hybridbus. "Das wäre beispielsweise auf der Hindenburgstraße denkbar", sagt Lehmann. Dort könnten sie fast geräuschlos an den Cafés und Geschäften vorbeirollen. Und es gäbe sicher wieder einige kleine Jungen, die alles aufschreiben und später mit Lego die Busse nachbauen würden – so wie Jürgen Lehmann, als er acht Jahre alt war.

(RP)
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