Mönchengladbach Neues Buch über den Philosophen Hans Jonas

Mönchengladbach · Jürgen Nielsen-Sikora hat sich mit dem Leben des berühmten Gladbachers befasst. Der Jonas-Kenner Ralf Seidel bespricht es für die RP.

"So kommt am Ende doch das Prinzip Verantwortung mit dem Prinzip Hoffnung zusammen - nicht mehr die überschwängliche Hoffnung auf ein irdisches Paradies, aber die bescheidenere auf eine Weiterwohnlichkeit der Welt und ein menschenwürdiges Fortleben unserer Gattung auf dem ihr anvertrauten, gewiss nicht armseligen, aber doch beschränkten Erbe." So endete vor 30 Jahren der Vortrag, den der Philosoph Hans Jonas in seiner alten Schule, dem Stiftischen Humanistischen Gymnasium, gehalten hatte. Es handelte sich um die Wiederholung seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Jonas wurde 1903 in Mönchengladbach als Sohn eines Textilfabrikanten und der Tochter des Oberrabbiners von Krefeld geboren. Deutschland verließ er 1933. Er fühlte sich jedoch seiner Geburtsstadt, die ihm 1989 die Ehrenbürgerwürde verlieh, trotz allem was geschehen war, stets verbunden. Er hat sie und die wenigen ihm dort verbliebenen Freunde auch nach dem Krieg weiter regelmäßig besucht.

Jonas sei es gelungen, so Bischof Wolfgang Huber auf einem philosophischen Symposium, durch seinen Einspruch "die Schallmauer des Schweigens über die drängendsten Fragen der Zeit durchbrochen zu haben". Er habe die heraufziehenden Gefahren - der künstlichen "Verbesserung des Menschen", der Bedrohung der Biosphäre und des Phänomens der globalen Beschleunigung, die zu einer Entkoppelung von Freiheit und Verantwortung führe - benannt und den Menschen aus Furcht um die Zukunft den Weg zur Verantwortung gewiesen. Das Prinzip Verantwortung ist auch der Titel seines berühmtesten, 1979 erschienenen Werkes.

Nun ist kürzlich das Buch "Hans Jonas - Für Freiheit und Verantwortung" des Philosophen und Historikers Jürgen Nielsen-Sikora erschienen. Es handelt sich um die akribisch recherchierte, elegant und spannend verfasste Schilderung des ereignisreichen Werdegangs des Philosophen. Erstes prägendes Ereignis sei für den Gymnasiasten der Erste Weltkrieg mit seiner Totalisierung intellektueller Positionen als einer Art Machtkampf zwischen Gut und Böse gewesen. Jonas fand während dieser aufgewühlten Situation einen Ausgleich in der Malerei und in seiner Liebe zur Dichtung. Sein Studium war gezeichnet durch die Begegnung mit drei überragenden Lehrern: dem Phänomenologen Edmund Husserl, dem Autor von "Sein und Zeit", seinem Doktorvater Martin Heidegger sowie dem Neutestamentler Rudolf Bultmann. Seit seinen Marburger Studienjahren verband ihn eine tiefe, wenngleich durch die heftige Auseinandersetzung um ihr Eichmann-Buch zeitweise unterbrochene, Freundschaft mit Hannah Arendt.

Auf einer Karnevalsveranstaltung in der Kaiser-Friedrich-Halle erfuhr Jonas, dass Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war. Nachdem er anfangs geglaubt hatte, dass dessen Regierungszeit nur von kurzer Dauer sein werde, entschloss er sich bereits im April 1933, aufgeschreckt und ernüchtert durch den Tag des Judenboykotts, zur Emigration. Sie führte ihn über London nach Palästina, wo er in einem faszinierenden Gelehrtenkreis um Gershom Scholem und Martin Buber zumindest geistig eine neue Heimat fand. Hier traf er auch seine spätere Frau Eleonore Weiner aus Regensburg, mit der er drei in drei verschiedenen Ländern - Israel, Kanada und den USA - geborene Kinder haben sollte. In der Widmung seiner Philosophischen Untersuchungen wird er 1992, ein Jahr vor seinem Tod, schreiben: "Für Lore. In Dankbarkeit für ein halbes Jahrhundert täglich erneuerten Glücks."

Als Soldat der Jüdischen Brigade der Britischen Armee kehrte Jonas nach dem Krieg in seine weitgehend zerstörte Geburtsstadt zurück. Hier musste er erfahren, dass seine geliebte Mutter in Auschwitz ermordet worden war. Dies hinterließ eine Wunde in Jonas' Leben, die nie wirklich verheilen sollte. Erst Begegnungen mit Menschen, die die Nazizeit aufrecht überstanden hatten, ließen bei Jonas zaghafte Momente der Versöhnung entstehen.

Nach dem Krieg arbeitete Jonas, in Ermangelung einer bezahlten Stelle an einer israelischen Universität, nochmals als Soldat, diesmal in der Offiziersschule der Israelischen Armee. So nahm er 1948 gerne den Ruf auf eine befristete, aber endlich auch bezahlte Professur in Kanada an. Hier begann er, nach seinen frühen religionsphilosophischen Arbeiten, seine Philosophie der Biologie weiter zu entwickeln. 1951 erhielt er die Möglichkeit, an der "New School for Social Research" in New York zu unterrichten. Hier blieb er bis zu seiner Emeritierung 1976 tätig.

Nach Deutschland dauerhaft zurückkehren wollte er nicht. Die Möglichkeit, hier als gefragter Vortragender oder befristet als Gastprofessor zu wirken, nahm er jedoch immer wieder gerne wahr. Am 30. Januar 1993 flog Hans Jonas nach Udine, wo ihm der "Premio Nonino" verliehen wurde. Er hatte die Reise - gegen ärztlichen Rat - nur angetreten, weil ihn mit dieser Stadt, in der er während des Zweiten Weltkriegs eine Zeitlang stationiert war, innige Erinnerungen verbanden. Ihre Menschen hatten ihre jüdischen Mitbürger versorgt, versteckt und so vor der Deportation bewahrt. Danach fuhr er noch einmal mit seiner Frau und seiner jüngsten Tochter in das von ihm so sehr geliebte Venedig. In der Nacht nach seiner Rückkehr, am 5. Februar 1993, starb Hans Jonas in seinem Haus in New Rochelle bei New York.

Das Buch von Jürgen Nielsen-Sikora nimmt uns nicht nur auf eine eine faszinierende Lesereise durch ein außergewöhnliches Leben mit, sondern es zeichnet auch auf erhellende Weise Bezüge zu den intellektuellen Debatten der Zeit und dem umgebenden zeitgeschichtlichen Kontext - wie die beiden Weltkriege, die Shoah, den Zionismus und die Gründung des Staates Israel - nach. In einem zweiten Teil des Buches führt er durch einen auch für Nichtphilosophen gut nachzuvollziehenden Aufriss in "Das Prinzip Verantwortung" ein. Gerade für Leser, die sich mit diesem Werk nicht in Gänze vertraut machen konnten, ein sehr empfehlenswerter Einstieg in Jonas' Ethik der technologischen Zivilisation. Ein dritter Teil behandelt die Frage nach der Wahrnehmung und Geltung der Philosophie von Hans Jonas angesichts der aktuellen Probleme, etwa des fortschreitenden Klimawandels oder auch des wieder aufkeimenden Rassismus. Nielsen-Sikoras Buch endet mit den Sätzen: "Es bedarf angesichts dieser neuen Herausforderungen eines nicht endenden, argumentativen Dialogs, um politische Lösungen für das Wohlergehen der Menschen heute und morgen zu finden."

Am 19. und 20. Januar veranstaltet die Hans-Jonas-Gesellschaft gemeinsam mit der Hochschule Niederrhein ein Symposium unter dem Titel: Identität und Verantwortung in der Welt von heute. Kritische Reflexion des Eigenen und des Fremden im Anschluss an Hans Jonas. Im Rahmen dieser Veranstaltung wird Jürgen Nielsen-Sikora sein Buch vorstellen.

(RP)
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