Pauschalkritik an den Medien Schöne Grüße von unserem Praktikanten

Mönchengladbach · Es sind nicht mehr nur Salafisten und die AfD, die Pauschalkritik an Medien für ihre Zwecke nutzen. Auch die Mitte der Gesellschaft vermutet, dass in den Redaktionen lauter Ahnungslose sitzen. Zum Jahresende hat unser Lokalchef in Mönchengladbach eine Bestandsaufnahme gemacht.

 Für die Kritiker sind die Medien Bestandteile des raffgierigen und inkompetenten Systems.

Für die Kritiker sind die Medien Bestandteile des raffgierigen und inkompetenten Systems.

Foto: Imago

Beginnen wir mit einem ganz normalen Wochenende. Drei Fälle aus drei Tagen:

Samstag: Die RP berichtet über die Verteilung des Geldes, das Kommunen für Flüchtlinge bekommen. Über den Artikel entspinnt sich auf Facebook eine Diskussion. Einer schreibt: "Ich weiß schon, warum ich mein Abonnement gekündigt habe. Die Berichte sind überwiegend oberflächlich, tendenziös und schlecht recherchiert." Das findet Gefallen - zum Beispiel vom Pressesprecher der Stadt Mönchengladbach, Wolfgang Speen. Er "liked" diesen Post und erklärt damit öffentlich, wie er die Arbeit der Rheinischen Post einschätzt.

Sonntag: Am Sonntag hat ein Borussia-Fan einen anderen so schwer verletzt, dass zunächst nicht klar ist, ob dieser überleben wird. Nachdem die Rheinische Post online und auf Facebook darüber am Abend berichtet hat, dauerte es nur wenige Minuten, bis sich die ersten Kommentatoren meldeten: Das sei ja aus dem Polizeibericht abgeschrieben und wahrscheinlich vollkommen anders gewesen. "Bei meinem Unfall vor 20 Jahren hat die Rheinische Post auch Schwachsinn geschrieben."

Montag: Die RP kommentiert, dass niemand ernstlich damit rechnen könne, dass Borussia-Kapitän Granit Xhaka zum Vorbild werde, Unbeherrschtheiten gehörten untrennbar zu ihm dazu. Antwort eines Lesers: "Was für ein geistiger Dünnschiss! Xhaka ist ein Heißsporn, na und? Also schreibt doch bitte nicht so eine Scheiße...echt.."

Es ist egal, ob es um Politik geht oder Sport, um Unglücke, um Erfreuliches, um Nachrichten, Meinung oder Reportagen - die Debatte über die Übermittler dieser Themen kommt verlässlich. Und genau so verlässlich beinhaltet sie folgende Stereotypen: Bei Zeitungen arbeiten Praktikanten und/oder Analphabeten, in jedem Fall Ahnungslose, die vollkommen Abstruses, extrem Einseitiges oder komplett Irrelevantes behaupten, und das auch noch mutwillig. Medien zu beschimpfen, das ist längst so mehrheitsfähig geworden wie Politiker raffgierig und inkompetent zu finden. Sie sind für die Kritiker Bestandteile desselben Systems.

Noch vor ein paar Jahren waren es vor allem Extremisten, religiöse wie die Salafisten oder politische wie die AfD, zu deren Grundfesten Medienschelte gehörte. Das ist klar. Frei verfügbare, ungefilterte Informationen sind für das Geschäftsmodell von Extremisten eine eher hinderliche Sache. Inzwischen könnten sich AfD und ihre linken Kritiker, wenn sich ihre Demonstrationszüge mal kreuzen, im Zweifel immerhin noch auf eines verständigen: Die Medien stellen das meiste falsch und verzerrt dar. Das ist längst Gemeingut - auch in der Mitte der Gesellschaft. Als Pressesprecher einer Stadt darf man so was heute offenbar auch richtig finden.

Nur, damit wir uns nicht missverstehen: Medien darf und muss man kritisieren - erst recht, wenn sie etwas falsch machen. Und das kommt vor. Für unsere Ausgabe kann ich sagen: Wir machen immer wieder Fehler, vertauschen Uhrzeiten, Eintrittspreise, Vornamen und ärgern uns selbst am allermeisten darüber und freuen uns über Hinweise auf Fehler, denn dann können wir sie korrigieren. Wir liegen auch rückblickend betrachtet schon mal mit einer Einschätzung, was gut oder schlecht für die Stadt ist, daneben. So weit, so selbstverständlich. Wir sind auch nicht mimosenhaft und wissen, dass wir sogar noch gut wegkommen, zum Beispiel im Vergleich zu Marcel Reif, einem anerkannten Fußballfachmann, der - einfach indem er seinen Job macht - Proteststürme auf sich zieht wie sonst nur Steuererhöhungen.

Wir fühlen uns weder persönlich noch als Berufsstand substanziell angegriffen. Wir stellen uns nur irritiert und besorgt ein paar Fragen: Woher kommt diese Aggressivität, diese ungefilterte Lust zum Pöbeln? Und was ist die nächste Stufe davon? Warum ist es für viele Menschen so schwer, andere Meinungen als ihre eigene zu ertragen? Was bedeutet das perspektivisch für unsere Gesellschaft?

Egal, ob es auf diese Fragen Antworten gibt oder nicht, wir machen genau so weiter. Selbstverständlich! Sammeln Informationen, nutzen dazu die verschiedensten Quellen, sprechen mit den Betroffenen, gewichten Informationen und bereiten sie so auf, dass sie für andere verständlich sind, sagen unsere Meinung. Das ist unser Job, wir haben ihn über viele Jahre gelernt - und sind von seiner Sinnhaftigkeit zutiefst überzeugt.

Übrigens: Wir haben gerade auch einen Praktikanten. Er macht das richtig gut. Und lässt schön grüßen.

(RP)
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