Mönchengladbach Wer bitte singt den Mörder?

Mönchengladbach · Am Theater inszeniert Karl Absenger das interaktive Musical "Das Geheimnis des Edwin Drood". Charles Dickens schrieb die unvollendete Vorlage, das Publikum spielt Kommissar. Die ganz große Spannung kommt aber nicht auf.

 Wie in jedem richtigen Krimi hat jeder mit jedem zu tun, alle haben ein Motiv. Wenn auch letztlich nicht sicher ist, ob Edwin Drood überhaupt tot ist.

Wie in jedem richtigen Krimi hat jeder mit jedem zu tun, alle haben ein Motiv. Wenn auch letztlich nicht sicher ist, ob Edwin Drood überhaupt tot ist.

Foto: Stutte

Ein Fragment ist an sich schon eine spannende Sache, erst recht, wenn es sich bei dem Stückwerk um einen Krimi handelt. Da steht man am Ende mit der Frage "Wer ist der Mörder?" allein da. - Der große Charles Dickens hat der Nachwelt den nicht vollendeten Kriminalroman "Das Geheimnis des Edwin Drood" hinterlassen, den ersten seines Genres angeblich. Vor Auflösung des Falls verstarb der Dichter, was die Fantasie seiner Nachfahren nachhaltig anregte. 1985 machte ein gewisser Rupert Holmes aus dem Stoff sogar ein Musical. Diese schauerliche Geschichte aus dem Londoner Vorort Cloisterham hat das Theater Münster 2013 nach-produziert, jetzt ist sie mit hiesigem Personal im hiesigen Theater zu erleben.

Holmes hatte die reichlich kecke Idee mit dem Musical. Richtig witzig wird jedoch sein Einfall dadurch, dass er die von Dickens unbeantwortet gelassene Frage nach dem Mörder jenes Drood ans Publikum weiterreicht. Das muss gegen Ende der Vorstellung aus acht Verdächtigen wählen. Die stehen dann wie einer Casting-Show mit Nummern-Tafeln an der Rampe und buhlen um die Stimmen. Der Abend schließt mit dem jeweiligen Auflösungs-Song. Bei der Premiere sang die Nummer 3 ihr Geständnis und alles, naja, fast alles, ist gut. Interaktiv nennt man sowas heute. Das ist lustig und macht allen Beteiligten Spaß. Regisseur Karl Absenger gibt dem Affen Zucker. Die Figuren sind skurril, die Handlung verwirrend. Ausstatterin Karin Fritz steckt das Personal in viktorianisches Kostüm, puzzelt mit rollenden Requisiten und großformatigen Raumprojektionen auf der weithin leeren Bühne. Das von Andreas Fellner geleitete Orchester ist im Hintergrund zu sehen und aus Boxen zu hören. Neben dem Opernchor trägt auch noch ein 16-beiniges Ballett sehr pittoresk zur Illustration des Geschehens bei.

Nun ist "Geschehen" ein weiter Begriff. Bei "Das Geheimnis des Edwin Drood" geschieht im Grunde nicht viel. Vielmehr sind Szenen aneinandergereiht, die von einem Conférencier (Tobias Wessler) in hohem Zylinder und roten Lederhandschuhen aufgefädelt werden. Da gibt es den diabolisch bleichgesichtigen John Jasper, einen Kantor mit Triebdefekt, der der süßen Rosa an die Wäsche will. Axel Herrig spielt ihn mit gespenstisch großen Augen und Nosferatu-Händen. Rosas Kleid ist rosa mit Schleife, Susanne Seefing verleiht ihr Unschuld und Sopran, was auch Gabriela Kuhn in der als Hosenrolle angelegten eher langweiligen Titelfigur nicht entgeht. Auftritte haben zudem: ein tapsiger Pfarrer (Thomas Peter), ein hübsches Geschwisterpaar aus Ceylon (James Park und Lisenka Kirkcaldy), ein Totengräber samt Gehilfe (wunderbar überdreht Markus Heinrich und Justus Seeger), eine Puffmutter mit Opiumhandel und tragischer Vergangenheit (famos: Kerstin Brix) und ein süß-schüchterner, lockenköpfiger Eleve des Pfarrers, mit dessen Verkörperung Andrew Nolen die Herzen des Publikums im Sturm erobert. Wie in jedem richtigen Krimi hat jeder mit jedem zu tun, alle haben ein Motiv. Wenn auch letztlich nicht sicher ist, ob der gute Edwin Drood überhaupt tot ist...

Sehr spannend will die Sache dann aber doch nicht werden, weil sich das Konzept des Stücks selbst überholt. Der Wechsel zwischen Musical, Bauerntheater, Revue und Publikumsanimation kegelt einen regelmäßig aus der Story. Die textlastigen, auf Teufel komm raus gereimten Songs sind zwar stets auf der Suche nach dem Ohrwurm, verpassen ihn aber systematisch. Immerhin geht dann irgendwann die Abstimmung los, zu der verkleidete Statisten den Saal durchkämmen. Dann muss man noch das Traumpaar des Abends erklatschen (mit anschließendem Liebesduett) und die Auflösung verstehen. Am Schluss singen alle beinchenschwingend an der Rampe. Den meisten Premierenbesuchern bereitete dieses musicalische Interaktiv-Sein sichtlich Vergnügen.

160 Minuten, eine Pause; Vorstellungen am 28. Oktober, 1., 14., 20., 21. November, 8., 14., 29., 31. Januar, 2. Februar; Karten: 02166 6151100.

(ark)
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