Mönchengladbach Swing unter Freunden

Mönchengladbach · Im Asylbewerberheim in der ehemaligen Grundschule Wickrath war die Big Band Kempen zu Gast. Zum zweiten Mal. Sie jazzt für Flüchtlinge, Helfer und Neugierige - da scheint selbst in einem Sommer der Wetterkapriolen die Sonne.

 Die zweite Auflage von "Jazz für Flüchtlinge" wurde erneut gut angenommen: Auf dem Schulhof der ehemaligen Grundschule Wickrath lauschten Flüchtlinge und Ehrenamtler gemeinsam den Klängen der Big Band Kempen.

Die zweite Auflage von "Jazz für Flüchtlinge" wurde erneut gut angenommen: Auf dem Schulhof der ehemaligen Grundschule Wickrath lauschten Flüchtlinge und Ehrenamtler gemeinsam den Klängen der Big Band Kempen.

Foto: Jörg Knappe

Gebrikinet Gebremariam lächelt übers ganze Gesicht. Ihm gefällt die Musik, auch wenn es nicht die seine ist. Sein Gesicht ist um die leuchtend dunklen Augen herum schwarz, er stammt aus Eritrea, von wo aus er sich vor rund zwei Jahren aufgemacht hat in die Freiheit. Der 32 Jahre junge Mann steht auf dem Schulhof der ehemaligen GGS Wickrath und lauscht dem ziemlich lauten Spiel der Kempen Big Band. Im April letzten Jahres waren die Musiker schon mal da, erinnert sich Gebrikinet Gebremariam damals war er auch schon hier, im Asylbewerberheim am Rande Wickraths. Wieder sind reichlich Besucher da, viele Ehrenamtler, viele Wickrather, die mal schauen wollen, wie es da so zugeht bei den Flüchtlingen.

Die Sonne scheint. Das scheint ein Statement von höchster Stelle zu sein. Und so kann Norbert Degen, der für den "Runden Tisch Wickrath" Helfer und Nachbarn zum Konzert geladen hatte, in gut gelaunte Gesichter schauen, wenn er die vielen Bekannten und Unbekannten willkommen heißt. Degen, pensionierter Physiker, unterrichtet Deutsch; wie er sagt, tut er das für "Leute aus aller Welt". Er hat Petra Vogt zum Gespräch dazu geholt, die so etwas ist wie die Sprecherin dieser ehrenamtlich unter dem Namen "Runder Tisch Wickrath" aktiven 15 bis 25 Menschen, die sich für die Belange der neuen Nachbarn einsetzen. Seit zwei Jahren, seit die Stadt die einstigen Büro- und Geschäftsgebäude der britischen Streitkräfte, die nach deren Abzug zwischenzeitlich als Dependance der Grundschule dienten, mit Flüchtlingen belegte. Das Angebot: Sprachkurse, Spielenachmittage, Hausaufgabenbetreuung, Strickkurse, Kleiderbörse, gesundes Frühstück. Alle 14 Tage ein Fragencafé, bei dem Dolmetscher der Sprachverwirrung Herr zu werden versuchen. "Wir verstehen uns als Netzwerk verschiedener Vereine, Konfessionen, Sozialarbeiter", sagt Vogt. Sieben Familien mit neun Kindern leben gerade für unbestimmte Zeit in der modularen Waschbeton-Architektur, neben 39 Alleinstehenden, meist Männern - 72 Leute insgesamt. Gemeinschaftstoiletten und -duschen sind die eine, ein riesiger Kinderspielplatz die andere Seite dieser improvisierten Wohnsituation. 23 Nationen treffen hier aufeinander, fast so viele einander fremde Sprachen und Kulturen. Da kann Musik verbinden. Das hat Gabi Froitzheim längst erfahren. Die Vorsitzende der Kempen Big Band - eine verdammt gute Amateur-Combo, der der feine Trompeter Markus Türk Schliff und Swing verleiht - engagiert sich auch in der Flüchtlingsarbeit Wickrath, das Konzert ist ihre Initiative. Während sie die Keyboards bedient, wippen ein paar Männer unterschiedlicher Hautfarben, die Bänke vor ihre Wohnzimmer gestellt haben, gut gelaunt mit den Füßen. Und haben das mit dem älteren Ehepaar aus der Nachbarschaft gemein, das sich am Biertisch den Kuchen vom reich gefüllten Büffet schmecken lässt. An Stehtischen darf geplaudert werden, man kennt sich oder lernt sich kennen, und der smarte Sänger der Band swingt mit jazzigem Schmelz nach Herzenslust dazu.

Gebrikinet Gebremariam umschleicht bei aller Freude auch ein bisschen Wehmut. Er muss an seine Frau und seinen Sohn denken, die seit einem Jahr in einem Lager in Syrien auf Weiterreise zu ihm warten. Die komplizierten Mühlen der Verwaltungen mahlen langsam. Trotz Unterstützung aus Mönchengladbach. Und für den jungen Mann, der noch drei Monate den Sprachkurs zu Ende bringen muss, bevor er sich um Arbeit bemühen kann, heißt es Abschied nehmen. Mitglieder der Kirchen haben ihm eine eigene Wohnung in Rheydt vermittelt. Der neue Weg beginnt mit Swing.

(ark)
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