Mönchengladbach Nicht gucken, nur anfassen

Mönchengladbach · Was normalerweise strengstens verboten ist, war bei der Führung für Blinde und Sehbehinderte im Museum Abteiberg ausdrücklich erlaubt. Museumspädagoge Uwe Riedel hatte Skulpturen zum Ertasten im Vortragsraum aufstellen lassen..

 Hochkonzentriert und mit viel Fingerspitzengefühl ertasteten die Teilnehmer der Führung gegenständliche und abstrakte Skulpturen im Museum Abteiberg.

Hochkonzentriert und mit viel Fingerspitzengefühl ertasteten die Teilnehmer der Führung gegenständliche und abstrakte Skulpturen im Museum Abteiberg.

Foto: Andreas Baum

Die meisten Menschen haben, wenn sie an einen Besuch im Museum denken, weiße Räume vor Augen, in welchen es die Farben und Formgebung der Kunstwerke zu bestaunen gilt. Natürlich stets mit respektvollem Abstand. Doch wie Kunst erfahren, wenn das Augenlicht nicht mitspielt? Jetzt öffnete das Museum Abteilberg Menschen mit Sehbehinderung seine Pforten und lud zu einer Vermittlung ein, bei welcher das Visuelle einmal bewusst ausgeklammert wurde. Sieben Skulpturen von überwiegend hiesigen Künstlern hatte Museumspädagoge Uwe Riedel aus dem Archiv herausholen und aufwendig fixieren lassen. Manche ganz gegenständlich, andere wiederum sehr abstrakt. Aber keine von ihnen dazu gedacht, angefasst zu werden. Eigentlich.

Nach einer Führung durch die Architektur und den Skulpturengarten vor einigen Monaten, dürfen die Teilnehmer nun zum ersten Mal Plastiken ertasten, welche ursprünglich nur fürs Auge gedacht sind. Nach und nach werden sie in einen abgedunkelten Raum geführt, wo die sieben Originale auf sie warten. Mit viel Fingerspitzengefühl gleiten die Hände über die Oberflächen. Ist sie rau? Glatt? Gibt es Details, welche sich zuordnen lassen? Welche Temperatur hat das Material? "Früher war es Metall, heute liebe ich Holz - das ist warm, weich und riecht gut", meint Gabriele Daun, gelernte Goldschmiedin. Aber nicht nur die verschiedenen Strukturen von Keramik, Ton oder Gips werden erforscht. Ernst Schmelcher aus Mönchengladbach macht vor allem das Erraten der gegenständlichen Figuren Freude: "Es ist sehr befriedigendend, wenn der Moment des Erkennens eintritt." Museumspädagoge Uwe Riedel erklärt, dass durch dieses Ausbleiben eines Aha-Effekts die abstrakten Werke besser in Erinnerung bleiben: "Nachdem ich erraten habe, dass es sich um eine Frauen- oder Vogelfigur handelt, beschäftige ich mich nicht mehr so gründlich mit den Details." Anschließend geht's in die Werkstatt, wo die Teilnehmer die Figuren aus dem Gedächtnis mit Ton nachformen sollen. Dabei nehmen sie sich gern mal gegenseitig auf die Schippe, und auch der eigenen Behinderung wird mit viel Humor begegnet.

Die Gruppe aus neun Personen war auf Initiative von Erich Nikolaus, dem Vorsitzenden des Forums für Blinde und Sehbehinderte, gekommen. Die offene Selbsthilfegruppe ist dank Nikolaus viel unterwegs, um bereits vorhandene Kultur- und Freizeitangebote für Blinde wahrzunehmen. Er ist derjenige, der die Gruppe mobilisiert und anspornt. Und wo es noch kein passendes Format gibt, wird nachgehakt: "Ich wurde schon ausgelacht für meine Vorschläge."

Oft sei es allerdings keine Frage der Bereitschaft von Institutionen, findet Uwe Riedel, sondern der Nachfrage. Auch Peter Gabor, der sich auf politischer Ebene für Inklusion einsetzt, sieht eine gewisse Selbstverantwortung bei den Menschen mit Handicaps: "Nur wenn wir uns in der Öffentlichkeit zeigen, entsteht auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft, dass wir auch teilhaben wollen." Die Gruppe rund um das Forum, die den Museumsbesuch sichtlich genoss, wird weiterhin diese Mission aktiv verfolgen - mit kritischem Fragen und viel Spaß.

(haba)
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