Mönchengladbach Musikalische Funken aus der Unterwelt

Mönchengladbach · Jakob Peters-Messer inszeniert Glucks "Orpheus und Eurydike" andeutungsreich mit viel Ballett und großen Chor-Tableaus. Im Graben zaubert Werner Erhardt, einer der Granden der rheinländischen Alte-Musik-Szene.

 Sophie Witte als Eurydike und Eva Maria Günschmann als Orpheus in der "Gladbacher Fassung" von "Orpheus und Eurydike".

Sophie Witte als Eurydike und Eva Maria Günschmann als Orpheus in der "Gladbacher Fassung" von "Orpheus und Eurydike".

Foto: Matthias Stutte

Wie unerhört modern Christoph Willibald Glucks "Orpheus und Eurydike" zu seiner Zeit geklungen haben mag, das erzählt bis in die kommende Spielzeit am Theater einer der Granden der rheinländischen Alte-Musik-Szene, Werner Erhardt. Der 60-jährige "Concerto Köln"-Gründer entfacht in seinem Dirigat des Gluck'schen Reformwerks mit den in solchen Gefilden wenig bewanderten Niederrheinischen Sinfonikern ein wahres Feuerwerk an wunderbar bizarren Klängen und Affekten, wie man sie sonst nur auf Spezialisten-Treffs zu Gehör bekommt. Angereichert mit ein paar Naturtrompeten und Flügelhörnern entwickelt das sonst mit dem neo-romantischen Instrumentarium ausgestattete Ensemble einen Sound, der flirrender, transparenter, im Detail kostbarer kaum zu wünschen wäre. Die Streicher zelebrieren geradezu das obertonreiche Non-Vibrato, Holz und Blech verschmelzen zum fast ideal fettfreien Kammermusik-Ton. Alles schwingt, alles klingt.

Das zu erleben lohnt ein Besuch der Inszenierung, für die Regisseur Jakob Peters-Messer zusammen mit seinem Ausstatter Markus Meyer die szenische Umsetzung verantwortet. Mit der hauseigenen Compagnie von Ballettchef Robert North hat Peters-Messer eine "Gladbacher Fassung" der Oper entwickelt, 100 Minuten kurz. Die acht Tänzerinnen und Tänzer, wie sie da als furiose Furien im IS-Look den armen Orpheus in der Höllenwelt verschrecken, oder als selige Geister im Elysium aus den Krankenbetten der gefallenen Helden entschweben, machen ihre Sache tadellos. Ihr getanzter Kommentar zur weitgehend handlungsarmen Oper gefällt auf ganzer Linie. Höchst ansehnlich und auch stimmlich bestens auf der Höhe präsentiert sich der Opernchor, der einige berückende Szenen hat in einer ansonsten eher zweifelhaften Inszenierung.

Denn so klar und zeichenhaft Peters-Messers Bilder auch sein mögen - er bedient sich einer durchgehenden Schwarzweiß-Optik - was das alles soll und wie das zusammenpasst, bleibt doch reichlich nebulös. Schon zur Ouvertüre fuchtelt Amor, der mit weißgeschminktem Gesicht Tod und Liebe zugleich verkörpert, in roten Handschuhen bedeutungsschwanger mit dem Geigenbogen herum, der später bisweilen auch als Zeigestock dient, und mit dem er die Zeit anzuhalten vermag. Ein bisschen sieht das nach Operette aus, was dann auch zum Timbre von Gabriela Kuhns Sopran passt. Dem Klischee verhaftet vollzieht sich der erste Akt als "rheinische Grablegung" mit allem, was dazugehört, in einem Raum, der mit zwei Türen, Rokoko-Deckenstuck, Stuhl, Tisch und eingeworfenen Fensterscheiben charakterisiert ist. Orhpeus' Welt in Scherben? Der trauernde Sänger trägt jedenfalls keine Leier, sondern ein Heftchen bei sich, in das er bei jeder Gelegenheit Notizen schreibt. Vielleicht ist der Sänger ja ein Literat?

Nun, in der Hölle lodern Flammen, die armen Sünder haben jeder ihr Päckchen zu tragen; das Elysium erinnert an ein Sanatorium - der Chor macht Visite. Im zunächst tragischen Schlussakt wird ein schwarzer Ariadnefaden richtungsweisend, an dem sich die Liebenden entlangbewegen. Warum, und warum ist dazu auch noch die Decke heruntergeklappt? Ja, und weil Peters-Messer Glucks glücklichem Schluss misstraut, lässt er nach dem finalen Jubel-Gesang noch einen Epilog in Moll vor dem geschlossenen Vorhang spielen, zu dem die beiden zum Leben Erlösten ganz weit voneinander bleiben müssen.

Das alles wäre wenigstens hübsch und kurzweilig anzuschauen, wenn die Protagonisten mit Gesangskunst und Präsenz die Szene überstrahlten. Das ist hier nicht der Fall. Eva Maria Günschmann wirkt mit ihrem brüchigen Mezzo in der großen Orpheus-Partie wie ihrer wesentlichen Ausdrucksmittel beraubt. Da rührt nichts zu Herzen. Sophie Witte als Eurydike wirkt ebenfalls fremd in der zauberhaften Sopranpartie. Die Fallhöhe zum Graben ist bei beiden eklatant. Glucks "Orpheus" findet beim Premierenpublikum dennoch breiten Zuspruch. Bravi für Erhardt und das Orchester.

Orpheus und Eurydike, 100 Minuten, keine Pause; italienisch, deutsche Übertitel. Vorstellungen 17., 23. Juni, 11., 13. Juli und wieder in der nächsten Spielzeit. Karten 02166 6151100, www.theater-kr-mg.de

(ark)
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