Mönchengladbach Micheal Grosse liest wieder Thomas Mann

Mönchengladbach · Es ist der letzte große Bildungsroman Thomas Manns, der für seinen Erstling, "Buddenbrooks", mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden war. In seinem Spätwerk "Doktor Faustus" mit dem Untertitel "Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde", verbindet der altersweise gewordene Schriftsteller ehrgeizig angelesenes Bildungswissen mit philosophischen Erkenntnissen zur Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch des nationalistischen Deutschlands. Mann schlüpft als Erzähler in die fiktive Gestalt Serenus Zeitblom, der sich insbesondere mit der Lebensgeschichte eines Komponisten auseinandersetzt. Von Goethes "Faust" ließ sich Mann zu dem Motiv des Teufelspaktes inspirieren. So bringt Leverkühn, den Zeitgenossen (übrigens unzutreffend) mit dem Zwölftöner Arnold Schönberg identifizierten, das Moment des Dämonischen ins Spiel. Was zur Musik in der Sichtweise Manns passt, welcher der Klangkunst gern die Aura von Mysterium andichtete.

 Generalintendant Michael Grosse (r.) und Pianist André Parfenov begeisterten mit einem Lese-Klavier-Abend im Theaterstudio.

Generalintendant Michael Grosse (r.) und Pianist André Parfenov begeisterten mit einem Lese-Klavier-Abend im Theaterstudio.

Foto: Knappe

Generalintendant Michael Grosse hatte mit Manns "Felix Krull" bereits eine gelungene Leseprobe seiner persönlichen Thomas-Mann-Pflege geliefert. Nun wählte er aus dem Faustus-Roman eine Passage für einen Leseabend aus, der sich speziell mit Beethoven befasst: genauer mit dessen letzter Klaviersonate c-Moll opus 111. Darin spekuliert der Autor gewaltig drauflos, gipfelnd in der Aussage, dass es nach dem eindringlichen Lebewohl-Thema im 2. Satz für Beethoven für das Tasteninstrument nichts mehr zu sagen gegeben habe. Also verzichtete der Komponist auf den obligaten Schlusssatz seiner Sonate. Seinen Wissensspeicher dazu hatte Thomas Mann zuvor in einem ausführlichen Briefwechsel mit dem musikalisch hochgebildeten Philosophen Theodor Adorno aufgefüllt.

Und so ist in dem von Grosse, dem leidenschaftlichen Rezitator, ausgewählten Kapitel auch eine Widmung, nämlich die Deutung einer Notenfolge durch den Begriff "Wiesengrund", an Adorno zu hören. Wiesengrund, das ist Adornos bürgerlicher Nachname. Im Studio des Theaters schilderte Grosse dynamisch und spannungsreich, aber nie outrierend, wie Leverkühns Musiklehrer Wendell Kretzschmar in einem Vortrag Beethovens letzte Klaviersonate erläutert. Dass der Musiker ein Stotterer ist, wird in Manns Text detailliert und mit viel Ironie beschrieben, aber nicht platt exekutiert.

Das versuchte auch Michael Grosse nicht in seiner mitreißenden Lesung. Lediglich mit versteckten Schrulligkeiten - so sprach er das Wort "Interesse" stets mit amerikanischem R und verwies so auf die neue Besatzungsgroßmacht, die in Deutschland nach dem Krieg das Sagen hatte - setzte der ausgebildete Schauspieler Nuancen. Famos. Famos auch, wie der Theater-Hauspianist André Parfenov hernach am Flügel Beethovens Opus 111 live interpretierte. Auch wenn er nicht gerade ein Spitzen-Instrument zur Verfügung hatte, gelang Parfenov doch eine formal geschlossene Wiedergabe, die insbesondere durch die phänomenale Virtuosität des Solisten aufhorchen ließ, der auswendig spielte.

Weitere Vorstellung am Donnerstag, 10. März 2016, 20 Uhr, Theaterstudio

(RP)
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