Mönchengladbach Liebes-Maskerade auf Wiener Art

Mönchengladbach · Mascha Pörzgen arrangiert den "Rosenkavalier" von Richard Strauss im Spannungsfeld zwischen großen Gefühlen und molièrescher Komik. Für den Zusammenhalt sorgt Mihkel Kütson mit den Niederrheinischen Sinfonikern.

 Vier Stunden lang agierten die Schauspieler und Musiker. Und auch die Zuschauer brauchten einen langen Atem. ES lohnte sich - absolut.

Vier Stunden lang agierten die Schauspieler und Musiker. Und auch die Zuschauer brauchten einen langen Atem. ES lohnte sich - absolut.

Foto: Matthias Stutte

Die Zeit "ist ein sonderbar Ding". Das weiß Marie-Theres, die unglücklich verheiratete Feldmarschallin, die sich in Affären mit jungen Männern stürzt. Wenn sie dies in ihrer ersten Arie in feinschwingender, bukolischer Tongebung ausspricht, ahnt sie schon, dass die Zeit gegen sie arbeitet. In der Komödie mit Musik von Hugo von Hofmannsthal (Libretto) und Richard Strauss (Musik) wird dieses Thema durch Changieren zwischen der Zeit um 1740 und dem Vorabend des Ersten Weltkriegs durchgespielt.

Rokoko-ergeben mutet nur die getäfelte Fassade mit dem Sonnenuhr-Medaillon an, die Frank Fellmann als schmuckes Memento für den "Rosenkavalier" wählte. Bei den Kostümen lässt er seiner Fantasie freieren Lauf. Damit folgt die Ausstattung den Vorgaben der Musik, die mit deftig parodierter Walzerseligkeit das Wien um 1900 klanglich nachzeichnet.

Der "Rosenkavalier", dieser gewaltige, vom Mehltau der Melancholie überzogene Bilderbogen einer untergehenden Zeit, hat einen langen Atem und fordert mit vier Stunden Dauer einen solchen auch den Zuschauern ab. Fünf Solisten müssen kolossale Kraftanstrengung auf sich nehmen. Keine günstige Ausgangslage für Eva Maria Günschmann. Die Mezzosopranistin, die den jugendlich-androgynen Liebhaber Octavian der Marschallin zu singen hatte, war erkältet. Doch Günschmann hielt ihr zwischen der Hosenrolle und der shakespeare'schen Doppelverwandlung zur feschen Kammerzofe pendelndes Spiel nicht bloß durch; sie spielte und sang ihre Partie so stimmlagensicher, dass die Bravorufe des Publikums für sie besonders kräftig ausfielen.

Regisseurin Mascha Pörzgen verfügt über zuverlässiges Gespür für das ausgewogene Verhältnis von vitaler Operetten-Maskerade und dem Erfordernis, den Sängern Raum zu lassen. Das motivierte die Solisten sehr, und so zog die amerikanische Sopranistin Lydia Eastley als Gast alle verfügbaren, klangsinnlichen Register ihrer großen, weit ausschwingenden Marschallin-Partie. Dafür vernahm sie begeisterte Bravo-Rufe. Und selbst der Darsteller des wenig sympathieträchtigen Barons Ochs, der hünenhafte Matthias Wippich (Bass), erlangte hochverdient mehr als einen Achtungserfolg.

Wie choreografisch genau Pörzgen die Sänger agieren lässt, war schön in der Schlussszene mit dem Terzett der drei Frauenrollen - Marschallin, Sophie und Octavian - zu beobachten. Wie da die Fürstin sich ins Unvermeidliche schickt und einsam in der linken Ecke des Podestes verharrt, während in der Bühnenmitte Sophie (Sophie Witte) und Octavian (Eva Maria Günschmann) sich langsam aufeinander zu bewegen, war beeindruckend. Witte bestätigte als hoher Sopran ihre Spitzenqualität, hätte aber gern noch aussagekräftiger agieren können. Das eilfertige Scharwenzeln eines karrierewütigen Spießbürgers fand sich in Bariton Hans Christoph Begemann als Faninal treffend gespiegelt. Der neureiche Waffenhändler ließ sich die Wände seines Salons mit seiner Nobilitationsurkunde in Riesenformat tapezieren.

Die Niederrheinischen Sinfoniker, viele andere Solisten und die Chöre, sie alle machten ihre Sache gut, dank Mihkel Kütson im Orchestergraben. Und so konnten wir unsere Gehörgänge vier Stunden lang sanft baden lassen, ohne sie zu verbrühen.

(ri)
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