Mönchengladbach "Hitlerjunge Jupp ist immer noch in mir"

Mönchengladbach · Der 16-jährige Jude Sally Perel rettete sein Leben, als er sich als Volksdeutscher ausgab. Er zog die Uniform an, brüllte "Es lebe der Sieg", nahm tatsächlich die Nazi-Ideologie an. Heute ist der fast 92-Jährige unermüdlich als Mahner unterwegs.

 Vormittags hatte er vor Schülern gestanden und ihnen von seinem Leben berichtet. Am Abend sprach Sally Perel vor einem atemlos lauschenden Publikum im Palace St. George. Seine Lebensgeschichte ist so ungewöhnlich wie der fast 92-Jährige selbst. Ungeheuer vital und fesselnd war sein Bericht.

Vormittags hatte er vor Schülern gestanden und ihnen von seinem Leben berichtet. Am Abend sprach Sally Perel vor einem atemlos lauschenden Publikum im Palace St. George. Seine Lebensgeschichte ist so ungewöhnlich wie der fast 92-Jährige selbst. Ungeheuer vital und fesselnd war sein Bericht.

Foto: Jörg Knappe

Am Ende wurde es sehr emotional. Xenia Daga war aus Paderborn angereist, um ihn zu hören - den Juden Sally Perel, der zum Nazi wurde, und so den Holocaust überlebte. "Ich habe Sie vor 16 Jahren als Schülerin gehört", sagte sie. "Sie haben mein Leben verändert." Daniel Hamacher aus Oer-Erkenschwick schloss sich an: "Auch mir ist es so ergangen." Da verließ der fast 92-Jährige das Rednerpodest, um den beiden die Hände zu schütteln. "Schöner hätte der Abend nicht enden können", sagte Sally Perel, der vor einem atemlos lauschenden Publikum im Palace St. George über sein Leben berichtet hatte. Eine Lebensgeschichte, die nie jemand so hätte erfinden können. Sally Perel hat sie aufgeschrieben, und seit Jahren ist er unterwegs, um zu mahnen und zum kritischen Denken zu ermutigen.

Eindringlich, mit ausdrucksstarker Stimme und einer pfiffigen Portion Humor berichtete Sally Perel von seinem Leben "in der Haut des Feindes". Trotz seiner Angst, entdeckt zu werden, habe er nie daran gezweifelt, dass er es schaffen würde. "Man will doch nicht sterben, ohne vorher gelebt zu haben." Er war lange Zeit sicher, dass auch in einem Nazi ein mitfühlender Mensch stecken müsste. "Die hatten doch auch alle Familien und Hündchen und Kätzchen zu Hause." Dann habe er erkannt, dass Nächstenliebe bei den Nazis nicht vorhanden war. "Ihnen wurde der Hass anerzogen - der Hass auf alles, was nicht deutsch war." Die heutigen Neonazis hätten diesen Hass übernommen, "die haben aus der Geschichte nichts gelernt".

Als Salomon Perel zehn Jahre alt war, traten die Nürnberger Rassegesetze in Kraft. Die Schulzeit in seiner Geburtsstadt Peine war in diesem Moment zu Ende. Die Familie verließ Deutschland, floh nach Lodz. Als die Deutschen in Polen einmarschierten, schickten die Eltern den 14-jährigen Salomon und dessen älteren Bruder Isaak in Richtung Osten. "Mein Vater beschwor mich, nie meinen Glauben zu verlieren." Seine Mutter habe gesagt: "Du sollst leben." Die Deutschen marschierten ein, wieder war Salomon Perel auf der Flucht. Als er gefangen genommen wurde, verleugnete er seine jüdische Herkunft und behauptet, er sei der Volksdeutsche Josef Perjell. Aus Josef wird der Hitlerjunge Jupp. "Ich musste in diesem Moment eine Entscheidung treffen." Und mit dieser habe er auf seine Mutter gehört - und den Wunsch seines Vaters ignoriert. "Das hat mich gequält."

Als Hitlerjunge wurde er im Geist des Nationalsozialismus erzogen. "Ich wurde ein echt deutscher Junge, ein begeisterter Hitlerjunge." Er erlebte, wie er als Jude anfingt, gegen Juden Hass zu entwickeln - und gegen sich selbst. "Ich lebte ein Doppelleben, meine Seele wurde gespalten." Bis heute empfinde er diese Zerrissenheit. "Der Hitlerjunge Jupp ist immer noch in mir." Nachdem er jahrzehntelang sein Schicksal verschwiegen hatte, musste er aufschreiben, was er erlebte, wie er Opfer einer Indoktrination zu einer Ideologie wurde, die ihn selbst vernichten wollte. Sein Buch "Ich war Hitlerjunge Salomon" wurde verfilmt und machte Perel und sein Schicksal bekannt.

Sally Perel lebt seit 68 Jahren in Israel. Nach seiner Religiosität gefragt, gestand er: "Ich bin gegen alle Religionen, alle blutigen Kriege haben einen religiösen Hintergrund." In seinen Augen hätten alle Religionen versagt - "auch das Judentum", sagte er mit Verweis auf Israel und Palästina.

(RP)
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