Mönchengladbach Kasparows leidenschaftliche Lehrstunde

Mönchengladbach · Der Ex- Schach-Weltmeister kennt jetzt Gladbachs Kulturdezernenten Gert Fischer - als Gegner mit Standvermögen. Bei seinem Vortrag am Abend plädierte Kasparow spitzzüngig und unterhaltsam für Entscheidungen mit Intuition und Mut.

Mönchengladbach: Kasparows leidenschaftliche Lehrstunde
Foto: Raupold Isabella

Dass er schnell ziehen kann, zeigte Garry Kasparow gestern nicht nur am Nachmittag beim Simultan-Turnier gegen 16 Hobby-Schachspieler. Beim Vortrag in der Kaiser-Friedrich-Halle bewies er später, dass er auch in seinen Urteilen zur Weltgeschichte schnell, in permanenter Angriffslaune und manchmal wild wie in seinen besten Schachprofi-Zeiten ist. Gorbatschow? Maßlos überschätzt. "In freier Rede wirkt selbst Trump gegen ihn wie Einstein." Putin? Eine Ein-Mann-Diktatur, die Russland ruiniert. "Beim Schach stehen die Regeln fest, und das Ergebnis ist nicht vorhersehbar. Bei Putin ist es genau umgekehrt." Wie besiegt man Gegner, ob am Schachbrett oder auf dem politischen Parkett? Mit Strategie und dem Mut, diesen Plan falls nötig, an den Gegner anzupassen. "Man muss seine Stärken und Schwächen kennen und dem Gegner sein Spiel aufzwingen. Dann macht er den entscheidenden Fehler."

Das gilt selbstredend auch für Gert Fischer, den Kulturdezernenten der Stadt. Der machte den entscheidenden Fehler aber deutlich später als die anderen 15 Schachspieler, die gegen Kasparow antraten. Erst beim 57. Zug war er matt, und Kasparow war sichtlich irritiert, dass all das so lange dauerte. Als er - eine halbe Stunde später als vorgesehen - mit Fischer den letzten Spieler besiegt hatte, sprintete Kasparow fast aus dem Saal. "Als ich alleine übrig war und er sich nur auf unsere Partie konzentrieren konnte, war es ganz schnell vorbei", berichtete Fischer später.

Über den Bezug von Schach und Führungskraft wollte Kasparow reden. Das tat er zwar - auch. Doch Kasparows Leitthesen zur Bedeutung von Intuition, Anpassungsfähigkeit und den Mut zur Entscheidung dürften den meisten der vielen Manager im Auditorium keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse beschert haben. Lohnend war der Abend gleichwohl. Und zwar wegen der Persönlichkeit Kasparows. Mit großer Leidenschaft, Meinungsfreude, Charme, Witz und ohne Manuskript machte er aus seinem Vortrag eine höchst unterhaltsame Lehrstunde zur Schach- und jüngeren Weltgeschichte.

Unvergessen wird der Tag vor allem für seine 16 Gegner vom Nachmittag bleiben. Zum Beispiel für Jose Alonso. Ein kurzer, freundlicher Händedruck, ein erster Zug, und schon entfernt sich Garry Kasparow wieder von seinem Spielbrett. Doch es dauert nicht lange, bis der Schach-Weltmeister zurückkehrt. Und Alonso erkennt schnell, dass er keine Chance haben wird. "Nach ein paar Zügen hätte ich lieber mit seinen weißen Figuren weitergespielt", sagt der 48-Jährige, der den Startplatz im Simultan-Turnier gegen die Schach-Legende beim Gewinnspiel der RP gewonnen hat. Wie stark die Gegner sein dürfen, hatte Kasparows Büro vorgeschrieben. Sie durften höchstens die Wertungspunktezahl eines Amateurspielers der Klasse A haben. Drum kam Gladbachs Schachstadtmeister Thomas Krause nicht in Frage. Er hat zu viele Punkte. Dafür durfte sein elfjähriger Sohn Simon Bartels ran - und schlug sich formidabel. Er war der Drittletzte, der seine Partie gegen Kasparow verlor. Alonso hielt bis zum 28. Zug durch. Er nehme aus der Begegnung viel für sein Spiel mit, resümierte er am Ende.

Von Moderator Stefan Schulze-Hausmann nach seinen offenen Träumen befragt, sprach Kasparow am Ende seines Gladbach-Tags von Bildung. Dass die Kinder heute nach Methoden wie vor über 100 Jahren unterrichtet würden, mit einem Lehrer in einem Raum als einzige Inspirationsquelle, sei schlimm. Mit seinem Charisma, seiner Intelligenz und seiner Leidenschaft kann man sich Kasparow hervorragend als Reformer für Bildung vorstellen.

(RP)
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