Mönchengladbach Intrigen und Mord im Weißen Haus

Mönchengladbach · Mit Verdis Oper "Ein Maskenball" ist die Theaterspielzeit gestartet. Regisseur Andreas Baesler verlegt die Handlung von Boston Ende des 17. Jahrhunderts ins Washington der Kennedy-Ära. Der Mord aus Eifersucht geschieht im Oval Office.

 Amelia und Riccardo tanzen auf dem Maskenball. Verkörpert werden die beiden Figuren von Izabela Matula (l.) und Michael Simon (r.)

Amelia und Riccardo tanzen auf dem Maskenball. Verkörpert werden die beiden Figuren von Izabela Matula (l.) und Michael Simon (r.)

Foto: Matthias Stutte

Schon bei der Uraufführung 1859 in Rom musste die Musik die Schwächen dieses Dramas wettmachen. Denn das von der Zensur heillos entstellte Libretto der Oper "Un ballo in maschera" des gefeierten Komponisten Giuseppe Verdi hatte sich von der historischen Quelle - der Mordanschlag auf den schwedischen König Gustav III. - bis zur Unkenntlichkeit verabschiedet.

Allein dank der enorm verdichteten, das Geschehen expressiv auslotenden Musik Verdis gewinnt der "Maskenball" inneren Zusammenhalt. Der 55-jährige Regisseur Andreas Baesler, seit "Das Gesicht im Spiegel" zum vierten Mal mit einem Musikdrama des Theaters Krefeld/Mönchengladbach betraut, entdeckte Parallelen zum Leben des US-Präsidenten John F. Kennedy. Und schon befinden wir uns im Allerheiligsten der US-Administration, im Oval Office des Weißen Hauses. Geschäftsmäßig wuseln dort Vertraute wie Verschwörer um den Präsidenten, den geschmeidig-alerten Tenor Michael Siemon, der mit der jungen, quirligen Referentin "Oscar" (Sophie Witte als elegant-muntere Koloratursoubrette) offenkundig ein Verhältnis hat. Doch richtig verliebt ist Riccardo ausgerechnet in die Frau seines Freundes.

Als Kennedy wird dieser smarte Präsident nun nicht zwingend kenntlich, ebenso wenig wie Amelia, deren Frisur und erster Auftritt im hellblauen Wollmantel an Jackie Kennedy erinnert, leidgeprüfte Ehefrau des Schürzenjägers. Doch als Aha-Erlebnis sind solche Assoziationen gewollt, ebenso wie die Entscheidung, vier dunkelhäutige Statistinnen als Hostessen einzusetzen, welche die Situation von Afroamerikanern in den 1960ern vermitteln. Sie stehen, zusammen mit der aus Kuba stammenden Wahrsagerin Ulrica, die dem Präsidenten den baldigen Tod durch die Hand eines Freundes vorhersagt, für eine geheimnisumwitterte Gegenwelt. Bühnenbildner Hermann Feuchter lässt die Bühne bei jedem Szenenwechsel umbauen, aber das architektonische Gerüst des Oval Office bleibt. Mal wird es zur Ritualhöhle der Macumba-Priesterin Ulrica, mal zum Schlafzimmer des Ehepaares Renato/Amelia, und schließlich zum Ballsaal, den lustige Micky- und Minnie-Mäuse bevölkern. Aus dem Galgenberg wird eine moderne Hinrichtungsstätte mit elektrischem Stuhl. Wie Amelia dorthin Zutritt erlangen kann und wieso dort ein Fläschchen mit dem ersehnten Entliebungstrank bereit steht, bleibt ebenso offen wie die Herkunft jenes Offizierspatents, das Riccardo dem Matrosen blitzschnell in den Seesack stopft, als der von Ulrica eine karrierefördernde Prophezeiung vernommen hat. Da entrinnt Regiekunst nicht den Zwängen einer historisch verkorksten Spielhandlung.

Was aber im Zentrum unantastbar gut gelingt, sind die Szenen, in denen das Kernthema - Liebe und Eifersucht - verhandelt wird. Da ziehen Izabela Matula mit berückender Tiefenempfindung als unglückliche Amelia, Johannes Schwärsky (Bariton) als verletzter Ehemann, dessen Uniform seine Wildheit nur kaschiert, und Michael Siemon auf hohem Niveau an einem Strang. Besonders Matulas feinnervig zwischen beinah geflüstertem Piano und scharfglänzendem Edelmetall ausgespannter Sopran beschert bannende Hörerlebnisse (etwa in der Arie "Ma dall'arido" im zweiten Akt). Szenenapplaus gibt es auch für Eva Maria Günschmann (Mezzosopran) als düstere, von Caroline Dohmen bizarr eingekleidete Voodoopriesterin.

Die eher komischen Akzente setzt der Chor. Die Niederrheinischen Sinfoniker sorgen unter der kundigen, äußerste Präzision fordernden Zeichengebung von Mihkel Kütson am Pult für die erwünschte hohe Qualitätsgrundlage. Diese Interpretation fesselt, malt, bestürmt die Sinne und begeistert. Bravo!

(ri-)
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