Mönchengladbach Insolvenz: Wie es bei Jessen weitergeht

Mönchengladbach · Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten nach den Insolvenzanträgen der Jessen Baugesellschaft.

 Der Abriss des alten Praktikermarktes in Holt im vergangenen Jahr: Dieses Verfahren zog sich wegen Rechtsstreitigkeiten hin.

Der Abriss des alten Praktikermarktes in Holt im vergangenen Jahr: Dieses Verfahren zog sich wegen Rechtsstreitigkeiten hin.

Foto: Isabella Raupold

Die Insolvenzanträge des Bauunternehmens Jessen für neun seiner Gesellschaften kamen überraschend. Und sie könnten große Auswirkungen auf die Stadtentwicklung haben. Denn Jessen ist das wohl bekannteste Bauunternehmen der Stadt. Umso komplexer ist das Verfahren - denn Insolvenzantrag ist nicht gleich Insolvenzantrag.

Was passiert eigentlich in einem Insolvenzverfahren? Wenn ein Unternehmen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung befürchtet, ist es verpflichtet, rechtzeitig die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen. Das können übrigens auch Gläubiger tun, die auf ihr Geld warten (nicht im Fall einer Eigenverwaltung). Ein Gericht entscheidet dann, ob das Verfahren eröffnet wird. In dem Fall wird ein (in den ersten drei Monaten zunächst vorläufiger) Insolvenzverwalter bestellt, der einen Plan erarbeiten soll, wie es mit dem Unternehmen weitergeht: Kann es saniert werden? Kann es verkauft werden? Oder hat alles keinen Sinn mehr und das Unternehmen muss abgewickelt werden? Grundsätzliches Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die Sanierung und damit die Sicherung der Arbeitsplätze. Nach drei Monaten entscheidet dann das Gericht, ob die Insolvenz begründet ist und genügend Masse, also Vermögen, vorhanden ist, um die Ansprüche der Gläubiger befriedigen zu können. Dann erst beginnt das Insolvenz-Hauptverfahren.

Hilft dabei der Staat? Jein. Wenn ein Unternehmen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt, dann springt die Agentur für Arbeit ein und zahlt den in der betroffenen Firma beschäftigten Mitarbeitern Insolvenzgeld für drei Monate (also bis zum Beginn des Hauptverfahrens). Dafür muss das Unternehmen für diese Zeit keine Löhne und Gehälter zahlen - und ist auf diese Weise entlastet. Das Insolvenzgeld wird übrigens von allen Arbeitgebern finanziert, die eine Umlage in Höhe von zurzeit 0,09 Prozent des Arbeitsentgelts abführen. Auch Steuererleichterungen sind in den ersten Monaten vorgesehen.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Insolvenz in Eigenverwaltung und einer Regelinsolvenz? Bei Eigenverwaltung haben die alten Chefs auch weiterhin das Sagen, ihnen wird aber ein Aufpasser (der Sachwalter) zur Seite gestellt, der das Unternehmen beaufsichtigt und dem Gericht und der Gläubigerversammlung berichtet. Das hat den Vorteil, dass das Unternehmen seine Geschäfte einerseits wie bisher fortsetzen kann und andererseits größere Spielräume in Verhandlungen mit Gläubigern und anderen Beteiligten hat. Eigenverwaltung ist also stärker auf Sanierung ausgerichtet als das klassische Insolvenzverfahren. Die Geschäftsführer der Jessen Baugesellschaft haben für fünf ihrer Gesellschaften Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt und für vier Firmen das Regelinsolvenzverfahren. In letzteren hat einzig und allein die vorläufige Insolvenzverwalterin das Sagen: Rechtsanwältin Nada Nasser von der Kanzlei Kreplin & Partner.

Warum ist die Firma Jessen so bekannt in der Stadt? Das hat viel damit zu tun, dass sich der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende Alfred Bohnen, ein ehemals selbstständiger Raumausstatter, 1979 gemeinsam mit dem Architekten Eberhard Palm in das Bau- und Immobilienunternehmen einkaufte. Das Unternehmen Jessen wurde seinerzeit von Günter Dürselen und Volkmar Müllges geführt. Sie schätzten Bohnens organisatorisches Geschick und seine Überzeugungskraft. Jessen hat in der Zeit, als Bohnen Gesellschafter war, viel in der Stadt bewegt. Die Firma Jessen profitierte von Kontakten und vom Einfluss Bohnens. Und das rief auch Kritiker auf den Plan. 2001 verkauften Alfred Bohnen und Eberhard Palm ihre Jessen-Anteile an die Brüder Uli und Jochen Bücker.

Wie beeinflusste das Kaufland-Projekt in Holt den Liquiditätsengpass bei Jessen? Die Firma Jessen kaufte nach der Insolvenz von Praktiker den Baumarkt in Holt. Das Unternehmen Kaufland, das Warenhäuser betreibt, meldete Interesse an, dort einen rund 5000 Quadratmeter großen Verbrauchermarkt zu eröffnen. Im Bau- und Planungsausschuss gab es ein klares Votum für das Projekt, es sah alles danach aus, als könnte der Markt bereits 2015 eröffnen. Aber dann protestierten zwölf Anwohner, die vor das Düsseldorfer Verwaltungsgericht zogen: Sie befürchteten mehr Verkehr auf Aachener Straße, Monschauer Straße und Bahnstraße, eine höhere Feinstaubbelastung und klagten über die Größe des Marktes. Das Projekt zog sich hin. Am Ende gab es nicht nur politischen Streit, sondern auch verwaltungsinternen Zwist: Der damalige Baudezernent Andreas Wurff, der auf Wunsch der Grünen im früheren Ampel-Bündnis ins Amt kam, wollte kurz vor der Kommunalwahl 2014 die von seinen Fachleuten vorbereitete Genehmigung nicht unterschreiben. Daraufhin wies der damalige Oberbürgermeister Norbert Bude (SPD) vor der Stichwahl gegen den jetzigen Amtsinhaber Hans Wilhelm Reiners (CDU) sein Bauamt an, die Genehmigung dem Antragsteller Jessen auszuhändigen. Das Unternehmen einigte sich mit drei Klägern außergerichtlich, weitere sieben zogen ihre Klage zurück. Aber erst Anfang 2017 entschied das Verwaltungsgericht, dass die von der Stadt erteilten Genehmigungen rechtskräftig sind, und wies die Klage der Anwohner ab. Erst dann war der Auftrag von Kaufland erfüllt, das Grundstück baureif zu machen. Es konnte verkauft werden - zwei Jahre später als geplant.

Was gehört dem Unternehmen Jessen? Zum Portfolio des Unternehmens gehören mehrere attraktive Objekte. Unter anderem Gebäude und Grundstücke im Entwicklungsgebiet Maria Hilf. Hier entsteht ein neues Wohngebiet. In Jessens Besitz ist auch das Gebäude, in dem die Stadtkämmerei sitzt. Außerdem noch ein größeres Objekt an der Sandradstraße. Auch in der City Ost hat Jessen Eigentum: Die Stadt plant hier hochwertige Wohnungs- und Bürogebäude, die sich um einen künstlich anzulegenden See gruppieren. Dass die Firma Jessen der Stadt das Objekt in der City Ost vor der Nase wegschnappte, ärgert noch heute viele Politiker. Denn es geschah wenige Tage vor einem Beschluss des Rates, der der Stadt für dieses Areal ein Vorkaufsrecht zusicherte.

Welche wichtigen Bauvorhaben stehen bei Jessen an? Es gibt für den Hardterbroicher Markt fertige Pläne, wie das Gebiet weiterentwickelt werden kann. Die Grundstücke gehören Jessen, das Bauvorhaben wollte das Unternehmen ebenfalls stemmen. Hier sind unter anderem ein Kindergarten und eine Filiale der Stadtsparkasse geplant. Auch über Betreutes Wohnen dachten die Bücker-Brüder nach. Mit dem Bauvorhaben sollte schon längst begonnen worden sein.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort