Mönchengladbach Herr Durst geht wieder arbeiten

Mönchengladbach · Mehr als die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen in Mönchengladbach hat über zwei Jahre keinen Job. Sven Durst war einer der komplizierten Fälle: Nach fünf Jahren aber hat er jetzt die passende Stelle gefunden - und seinen Chef beeindruckt.

 Sven Durst (links) neben Jürgen Goertz im Gastraum der Hensen Brauerei. Nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit hat der Borussia-Fan nun wieder einen festen Job. "Ein tolles Gefühl", sagt er.

Sven Durst (links) neben Jürgen Goertz im Gastraum der Hensen Brauerei. Nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit hat der Borussia-Fan nun wieder einen festen Job. "Ein tolles Gefühl", sagt er.

Foto: Jörg Knappe

Langzeitarbeitslos. Wer länger als zwölf Monate keinen Job findet, der fällt in die Kategorie. Ein Stempel, der es nicht unbedingt leichter macht - der für Bilder in den Köpfen der Arbeitgeber und Personalabteilungen sorgt. "Ich sag es, wie es ist: Die halten einen für ein Faultier, das nicht arbeiten will", sagt Sven Durst. Der 45-Jährige war Langzeitarbeitsloser, fünf Jahre hatte er keinen festen Job.

Ein schwieriger Fall, aber kein seltener: 54 Prozent der Langzeitarbeitslosen in Mönchengladbach sind zwei Jahre und länger arbeitslos. "Ich habe eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau gemacht, aber keinen Führerschein", sagt er. "Wenn man dann auch noch Hartz-IV-Empfänger ist, hat man den Stempel komplett weg", sagt er. Nun sitzt Durst an einem Tisch der Hensen Brauerei in Waldhausen, neben ihm Jürgen Goertz, Kneipen-Chef und Freund klarer Worte. "Wir haben hier bestimmt 20 Gespräche mit Kandidaten geführt. Ein halbes Jahr lang, immer an diesem Tisch", sagt er und klopft auf die Holzplatte. "Gastronomie ist eben kein Job für jeden", sagt er.

Und trotzdem gaben sie nicht auf. Goertz nicht - und das Jobcenter. "Irgendwann haben wir gesagt, dass wir vielleicht mal den Tisch wechseln sollten", sagt der Gastwirt und lacht. Gesagt, getan - an jenem Tag, als Sven Durst in die Gaststätte kam. "Ich wollte sofort mit offenen Karten spielen und habe ihn zur Grundreinigung der Polizeikantine eingeladen", erzählt der Wirt. "Er meinte nur: Ist mir doch egal."

Eine Einstellung die gefiel - offenbar auf beiden Seiten. "Ich finde es gut, wenn der Chef sofort klar macht, dass man am Anfang auch mal die Drecksarbeit machen muss", sagt Sven Durst. Nach dem Probetag folgte ein zweiter. Dann ein dritter. "Und ab dann wusste ich: Das läuft jetzt", sagt Goertz. Sven Durst geht wieder arbeiten. Nach fünf Jahren als Langzeitarbeitsloser ist er als Küchenhilfe nach einem Praktikum bei der Hensen Brauerei angestellt. "Ein tolles Gefühl. Wenn ich abends ein Spiel der Borussia gucke und ein Bier dabei trinke, dann weiß ich - das Geld hast du durch deine Arbeit verdient", sagt er. Nun seien auch Ausflüge mit der Familie drin. Alltags-Luxus.

"Es ist wichtig, jemanden zu haben, von dem man weiß, dass er zuverlässig ist. Und bei ihm weiß ich das", sagt Goertz. Eine Erfolgsgeschichte - für Durst, den Wirt und das Jobcenter. 5474 Langzeitarbeitlose in Mönchengladbach sind auf SGB II (Grundsicherung, Stand August) angewiesen. Genau diese Zahl soll nachhaltig verringert werden - mit dem Programm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit vom Europäischen Sozialfonds für Deutschland (ESF), das auf zwei Jahre ausgelegt ist. Ausgelobtes Ziel des Programms ist es, arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose, die SGB II beziehen, in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. In Mönchengladbach sollen in zwei Jahren 200 Menschen im Programm vermittelt sein, zehn Prozent davon waren fünf Jahre oder länger arbeitslos. Weil man in Mönchengladbach gerade bei dieser kritischen Zielgruppe so erfolgreich ist, hat man diese Quote sogar noch einmal um 15 Menschen aufgestockt.

Im Idealfall steht am Ende ein unbefristeter Vertrag - damit das gelingen kann, muss das Jobcenter Arbeitgeber wie Arbeitssuchende genau kennen. Neben Betriebsakquisiteuren und Vermittlern sind daher auch Coaches Teil des Programms. Sie kennen ihre Kunden ganz genau, wissen um ihre Stärken und Schwächen, stehen ihnen zur Seite. Coaches wie Markus Schlütter, der Sven Durst betreut. "Am Anfang habe ich noch gedacht: Ich brauche keinen Babysitter. Aber dann habe ich schnell gemerkt, dass die Chemie stimmt und er mir hilft, wo er kann", sagt Durst. Eine Reaktion, die Schlütter kennt. "Bei 80 Prozent der Kunden ist das so", sagt er. "Dann fällt aber der Groschen, dass ich hier nicht der Sheriff bin, sondern Steine aus dem Weg räume."

Wie bei Sven Durst. "Ein großer Traum wäre mal, ein Champions-League-Auswärtsspiel der Borussia zu erleben, in Madrid oder Barcelona", sagt er. Zum Pokalspiel gegen Stuttgart geht er schon. Dahin hat ihn sein Chef eingeladen.

(lukra)
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