Analyse Harter Winter für die Gladbacher Industrie

Mönchengladbach · Die jüngsten Nackenschläge bei Schorch und GE Grid dürften noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Dabei werden fatale Botschaften ausgesendet.

Analyse: Harter Winter für die Gladbacher Industrie
Foto: Detlef Ilgner

Es ist einfach nur zum Heulen. Da ist man bestens ausgebildet und hoch qualifiziert. Man leistet gute, harte Arbeit, die weltweit gewürdigt wird und erfolgreich ist - das Werk schreibt schwarze Zahlen. Man ist zurecht stolz auf das, was man tut, und was schon der eigene Großvater an selber Stelle tat - als Aushängeschild der verbliebenen Industrie in einer einstigen Hochburg. Und dann setzt irgendwo in Boston oder Paris ein Schlipsträger den Rotstift an und will über hundert Jahre Industriegeschichte mit einem Strich beenden? Ernsthaft? Einfach so? Ohne triftigen wirtschaftlichen Grund? Ist das noch Kapitalismus? Oder schon asoziale Marktwirtschaft, wenn die gnadenlose Profitmaximierung über allem steht? Diese Fragen stellen sich seit dieser Woche die 371 Angestellten von GE Grid, über die die Hiobsbotschaft, das ihr Werk 2019 geschlossen wird, unvermittelt hereinbrach. Aber sie sind nicht die einzigen. Die Überschrift "Job-Abbau trotz Milliardengewinnen" gab es dieses Jahr schon häufiger, zuletzt erst bei Siemens.

Ursprünglich sollte diese Geschichte "Schwarzer Herbst in der Textil- und Bekleidungsindustrie" heißen. Gardeur insolvent, 66 Mitarbeiter gekündigt - gestern kam immerhin die Information, dass keine weiteren Kündigungen geplant seien und dass es die "Vision" des neuen Investors sei, den Standort dauerhaft beizubehalten. Damenhosen-Spezialist Michèle, gegründet 1921, verkündete im Oktober die Einstellung des Geschäftsbetriebs zum 30. Juni 2018, etwas unter 50 Mitarbeiter werden betroffen sein; begründet wurde die Entscheidung mit schwierigen Marktbedingungen und ungünstigen Wechselkursen in Russland und Großbritannien. Und bei zwei weiteren kleineren Anbietern befinden sich die letzten Lagerteile im Räumungsverkauf. Darin allerdings einen Trend zu sehen, damit tut sich Reimund Strauß von der IG Metall schwer. Er bezeichnet die Probleme bei den betroffenen Firmen als "größtenteils hausgemacht" und verweist auf andere, die es besser machen, etwa Alberto.

Wie dem auch sei: Aus der geplanten Geschichte wurde nichts - wegen der neuen Entwicklungen rund um General Electric (GE). Und weil sie so weitreichende Folgen für den Standort haben könnte. Kommt es zur angekündigten Schließung, geht Gladbach neben den Arbeitsplätzen und der Tradition ein gewichtiges Stück High-Tech verloren - und der so wichtigen Energiewende ein Unternehmen, das auf dem Weg hätte helfen können. Strauß befürchtet zudem neue negative Auswirkungen auf Schorch, von dem sich das Transformatorenwerk 1995 abgespaltet hatte - und das gerade erst aus der eigenen Insolvenz zurück ist, der 144 Mitarbeiter zum Opfer fielen. Denn GE Grid und Schorch teilen sich bis heute unter anderem Firmengelände und Ausbildung.

Doch mehr noch: Hinter all der Wut, hinter all dem Unverständnis, die sich nun breitmachen, steckt die nüchterne Erkenntnis, dass die Qualität der eigenen Arbeit, egal, wie gut sie sein mag, offenbar völlig irrelevant ist. Wenn die Götter würfeln, wird man zum Spielball des Schicksals. Das ist, da wir am Beginn einer nie dagewesenen Umwälzung der Arbeitswelt stehen, das vielleicht Fatalste an der Botschaft, die Konzerne wie GE und Siemens an die Arbeitnehmer aussenden. Digitalisierung, Automatisierung und Robotisierung werden ohnehin Millionen Jobs, wie wir sie heute kennen, verändern oder vernichten. Das an sich ist nicht das Problem; dafür wird es irgendwann Lösungen und Ersatz geben (müssen). Darüber hinaus den Arbeitnehmern aber noch zu signalisieren, dass ihre gute, anerkannte, ertragsreiche Arbeit quasi wertlos ist - und das zu Zeiten einer Hochkonjunktur und guter Werte auf dem Arbeitsmarkt -, mutet gesamtgesellschaftlich fahrlässig an. Umso ehrenwerter, dass GE-Betriebsratsvorsitzender Falk Hoinkis bereits angekündigt hat, man wolle in den kommenden Monaten mit aller Macht zeigen, dass der Konzern eine Fehlentscheidung getroffen hat. Spiegelten sie dessen Haltung, wäre es auch durchaus verständlich gewesen, wenn sie einfach auf alles pfiffen. Interessiert ja eh keinen. Oder doch? Die Mitarbeiter hoffen auf einen neuen Investor, der das Werk übernehmen könnte.

Schorch, GE Grid - und nach RP-Informationen wird irgendwann im neuen Jahr ein weiterer Stützpfeiler der Gladbacher Industrie ein hartes Sparprogramm mit weitreichenden Folgen ankündigen. Aus dem "schwarzen Herbst in der Textilindustrie" ist also längst ein "Harter Winter für die Gladbacher Industrie" geworden. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass die historisch niedrige Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent, die vor Jahresfrist erreicht worden war, nur eine erfreuliche Momentaufnahme war. Denn die letzten Monate hielten weitere Nackenschläge für den Standort bereit, etwa den Abzug der Real-Zentrale.

Das alles ist noch kein Grund für Resignation - immerhin kommt der Online-Badhändler Reuter, wird Amazon wohl ein Logistikzentrum in Rheindahlen eröffnen, entstehen in neuen, zukunftsträchtigen Branchen zunehmend auch Jobs. Und Wandel gehört zur Arbeitswelt nun mal dazu. Aber es ist, gerade zum Jahresende, ein Anlass zum Innehalten und Hinterfragen, wenn Existenzen so sehr mit Füßen getreten werden wie diese Woche wieder. Und es wäre auch ein schöner Anlass für die Politik, einmal vorbeizuschauen und sich einzusetzen. Die Trafowerks-Mitarbeiter warten.

(tler)
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