Mönchengladbach Gerichtsprozess im Klassenzimmer

Mönchengladbach · Einmal in der Woche unterrichtet Gerichtssprecher Jan-Philip Schreiber die internationale Vorbereitungsklasse des Gymnasiums an der Gartenstraße in Rechtskunde. Die Schüler kommen alle freiwillig - und sind mit Begeisterung dabei.

 Die Verhandlung, die hier in einem kleinen Klassenzimmer des Gymnasiums an der Gartenstraße gespielt wird, ist natürlich nicht echt: Gerichtssprecher Jan-Philipp Schreiber unterrichtet die Internationale Vorbereitungsklasse.

Die Verhandlung, die hier in einem kleinen Klassenzimmer des Gymnasiums an der Gartenstraße gespielt wird, ist natürlich nicht echt: Gerichtssprecher Jan-Philipp Schreiber unterrichtet die Internationale Vorbereitungsklasse.

Foto: Detlef Ilgner

Yassin, Alen und Mohammad müssen heute eine wichtige Entscheidung treffen. In einer Diskothek hat es eine Schlägerei gegeben. Zwei Männer - Burhan und Armando - wollten dort einen feuchtfröhlichen Abend mit ihren Freunden verbringen, als plötzlich ein Mädchen dazwischen kommt. Beiden gefällt das Mädchen, beide wollen mit ihm tanzen, beide können sich nicht zusammenreißen. Es kommt zum Eklat - der Abend endet blutig. Armando hat Burhan die Nase gebrochen. Jetzt verlangt Burhan als Kläger vor dem Landgericht 6000 Euro Schmerzensgeld von Armando. Der weigert sich vehement, die Summe zu bezahlen, meint, Burhan hätte sich die Nase selbst gebrochen, als er ihm einen Kopfstoß verpassen wollte. Als Kammer des Gerichts müssen sie nun abwägen: ob die Geschichte wohl glaubhaft ist? Und sind 6000 Euro aufgrund der Umstände wirklich ein angemessener Betrag?

Die Verhandlung, die hier in einem kleinen Klassenzimmer des Gymnasiums an der Gartenstraße gespielt wird, ist natürlich nicht echt. Burhan und Armando haben sich auch nicht geprügelt - im Gegenteil. Engagiert wie sie sind, haben sie sich mit acht weiteren Schülern der internationalen Vorbereitungsklasse des Gymnasiums freiwillig als Schauspieler für das Gerichts-Rollenspiel gemeldet. 18 Schüler, unter anderem aus Syrien, Marokko, Serbien, Äthiopien und Spanien, befinden sich in der Klasse. Eigentlich hätten sie schon Schulschluss, für die 90-minütige Rechtskunde-AG mit Gerichtssprecher Jan-Philip Schreiber bleiben sie aber gerne länger.

Die sechs Termine umfassende AG ist ein Projekt des Justiz-Ministeriums Nordrhein-Westfalens. Schreiber wurde gefragt, ob er Lust und Zeit hätte, einmal die Woche in das Gymnasium an der Gartenstraße zu kommen - und das hatte er: "Ich finde Rechtskunde-Unterricht an der Schule insgesamt gut", sagt er. "Umso sinnvoller ist es da, wenn in Betracht kommt, dass junge Leute nicht so natürlich mit unseren Grundrechten aufgewachsen sind wie wir oder eventuell ganz andere in ihrem Land hatten." Während der AG-Stunden klärt er darum über die deutsche Verfassung, Menschenwürde und Freiheitsrechte auf und erklärt die Vorgehensweise des Gerichts. Gemeint ist das Projekt aber keinesfalls präventiv: "Es geht eher darum, zu sagen: Guck mal, was in Deutschland alles möglich ist", sagt Klassenlehrerin Melanie Röer, die die AG mit unterstützt. "Viele wissen gar nicht, was die Demokratie alles hergeben kann, und welche Partizipationsmöglichkeiten es gibt."

Wie sehr die Schüler das Thema interessiert, zeigt allein, wie aufmerksam sie die Stunde verfolgen. "Eigentlich müsste doch auch noch das Mädchen aus der Disco als Zeugin dabei sein", merkt so etwa Burhan während der Verhandlung an. "Das stimmt", lobt Schreiber. "Oft fehlt während einer Verhandlung aber der beste Zeuge. Das Mädchen ist wohl direkt abgehauen und ihr Name ist nicht bekannt", sagt er.

Neben der Landeskunde spielt aber auch die Sprachvermittlung eine große Rolle. "Die Sprachbarriere ist schon eine Herausforderung. In der ersten Stunde war es doch schwieriger als gedacht, verstanden zu werden. Heute geht das spielerisch und mit Bildern schon besser", erzählt der Gerichtssprecher. So erklärt er den Schülern geduldig, was ein Zeuge ist ("jemand, der etwas gesehen hat"), was provozieren heißt ("ärgern, damit es Streit gibt") und was man unter Schmerzensgeld überhaupt versteht ("Geld, das man bekommt, wenn einem wehgetan wurde").

Die Kammer hat sich inzwischen beraten. Ihr Urteil: Da Armando und Burhan beide beteiligt waren, sollen auch beide zahlen müssen. Schreiber findet die Idee gut, merkt aber an: "Um Schmerzensgeld zu bekommen, müsste Armando selbst noch eine Klage einreichen".

In der nächsten Stunde soll wieder verhandelt werden. Diesmal, ob jemand ins Gefängnis muss: Dann es geht um Strafprozesse.

(RP)
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