Mönchengladbach Für einen Schönheitsbegriff ohne Schubladen-Denken

Mönchengladbach · In der LVR-Klinik zeigt Meike Hahnrath Porträtfotos.

Eines der fotografierten Gesichter dürfte vielen bekannt sein. Es gehört dem städtischen Pressesprecher, und entsprechend leicht ist hier die Zuordnung von vier möglichen Begriffen zur dargestellten Person. Ansonsten weiß Meike Hahnrath die Betrachter ihrer Porträtfotos auch zu verwirren. Die Künstlerin macht keinen Unterschied zwischen sogenannten "Normalen" und Menschen, die körperlich oder psychisch beeinträchtigt sind. Manche ihrer Protagonisten wirken vielleicht extravagant, viele sind dem Betrachter zugewandt, einige erscheinen versonnen in sich selbst zurückgezogen. Verbindend ist stets der respektvolle Blick, mit dem sie wahrgenommen und fotografiert wurden.

Dem Besucher der interaktiven Ausstellung in der Kunstkapelle der LVR-Klinik begegnet Hahnrath mit einem besonderen Kniff: Sie ordnet jedem Foto vier Klassifizierungen zu, von denen je nur eine zutrifft. So kann der Betrachter entscheiden, ob etwa ein Gesicht zu einer Kosmetikerin, Professorin, ins Frauenhaus geflüchteten Frau oder Inhaberin einer Tapas-Bar gehören könnte. Bei früheren Ausstellungen hat Hahnrath die Erfahrung gemacht, dass die meisten Besucher nur wenige Treffer landen konnten. Eine Herausforderung, um Vorurteile zu überdenken.

"Über ihre sehr ästhetische Fotografie schafft es Meike Hahnrath unsere Schubladen zu öffnen, und wir merken, was wir durch dieses Schubladendenken verloren haben", sagte Jochen Möller, Pflegedirektor und Vorsitzender des Ethikforums der LVR Klinik. Hahnrath selbst fragte bei der Vernissage: "Warum erhält jemand mit einem Bandscheibenvorfall, einer Bronchitis oder einem gebrochenen Bein unser Mitgefühl, aber der psychisch Kranke muss sich rechtfertigen?" Sie ist überzeugt - und steht mit ihren Fotografien dafür ein: "Keiner ist nur behindert, ist nur alt und nur geschlagen".

Die meisten Fotos haben ein mittleres Maß. Im hinteren Raum der Kapelle stellt Hahnrath drei Riesenformate aus. Eines zeigt eine alte Dame mit Hut. Die Falten in ihrem Gesicht dokumentieren die Spuren eines langen Lebens, selbstbewusst und unverdeckt. Das Gesicht einer jungen Frau ist durch das mächtige Format nahgerückt und wirkt doch so fern durch einen nach innen gerichteten Blick. Beide Gesichter sind auf ihre Weise schön, da sie den entgegengebrachten Respekt spiegeln.

(anw)
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