Mönchengladbach Fremde und Wachstum in Gladbach

Mönchengladbach · Das Konzept "MG+ / Wachsende Stadt" braucht Zuwanderung für Innovation und Kreativität. Das schreibt Hans Schürings von der Geschichtswerkstatt in seinem Gastbeitrag, der dabei bis zur Zeit der Industrialisierung zurückblickt.

 Der Stadtkern von Mönchengladbach auf einem Gemälde von Gottfried Pulian aus dem Jahr 1856: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts strömten viele Menschen in die Stadt und wandelten die beschauliche Landschaft zur pulsierenden Industriegroßstadt. Das Original hängt im städtischen Museum Schloss Rheydt.

Der Stadtkern von Mönchengladbach auf einem Gemälde von Gottfried Pulian aus dem Jahr 1856: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts strömten viele Menschen in die Stadt und wandelten die beschauliche Landschaft zur pulsierenden Industriegroßstadt. Das Original hängt im städtischen Museum Schloss Rheydt.

Foto: Stadtarchiv

Vom Wachstum der Stadt Mönchengladbach ist die Rede (von maximal 100.000 Einwohnern zusätzlich!) - gemeint wird damit zunächst die Steigerung der Einwohnerzahl. Zugegeben: Dies hat kommunalpolitisch verschiedene recht schwergewichtige Vorteile. Doch woher werden diese Menschen kommen? Obwohl Mönchengladbach von den 30 größten Städten Deutschlands mit die höchste Geburtenrate (1,44 pro Frau) verzeichnet (nach Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts - HWWI), kann hierdurch allein ein dauerhaftes nachhaltiges Wachsen nicht erreicht werden. Beim Zuzug gerade junger Menschen nach Mönchengladbach sieht es eher schlecht aus, ebenso beim Anteil der Akademiker (mit 11,4 Prozent am unteren Rand), also ganz schlecht: Junge Akademiker sind in Mönchengladbach selten ansässig. Logische Konsequenz: Wir sind auf "Fremde" angewiesen.

Mönchengladbach: Fremde und Wachstum in Gladbach
Foto: Schürings Hans

In der städtischen Alltagsöffentlichkeit von Fremdem umgeben zu sein, ist Normalität. Auch wenn wir über die zahlreichen Marktplätze der Stadt schlendern, sind wir meist von Fremden umgeben. Dabei spielt Migration zunächst so gut wie keine Hauptrolle. Gerade das macht Stadt und Urbanität - im Gegensatz zum Dorf - ja aus, dass die Einwohner sich untereinander nicht mehr kennen und trotzdem in der Regel friedlich miteinander umgehen.

Per Definition ist der Fremde, der von außen kommt, anders und ein wenig entrückt. Zunächst sind dies alle zugewanderten Fremden, egal ob mit nationalem oder internationalem Migrationshintergrund. Aber an erster Stelle zugewanderte Fremde braucht die Stadt, will sie wachsen. Nach Angaben der Verwaltung hatten Ende des vergangenen Jahres 31,8 Prozent aller Einwohner einen internationalen Migrationshintergrund. Inzwischen dürfte diese Zahl wesentlich höher sein. Statistisch wächst die Stadt in erster Linie wegen des Zuzugs von Ausländern.

Nur wenn es gelingt, auch in Mönchengladbach in einen kontinuierlichen Prozess des kulturellen Austausches und der authentischen Kommunikation zu kommen, kann eine städtische Entwicklung und qualitative Veränderung möglich sein. Meist gelingt dies durch Nähe und/oder aufeinander zugehen. Dies geschieht in der Regel auf der Arbeit oder aber im Wohnumfeld. Nur durch Distanzverringerung kann das Fremde entzaubert sowie als kultureller Gewinn oder persönlicher Vorteil empfunden werden. Schafft es die Neugier nach Neuem und Fremden, die durchaus berechtigten Ängste zu überwinden? Da macht es keinen Unterschied, ob es sich um den verschrobenen Nachbarn im Hinterhof handelt oder die Türkin aus Anatolien. Im Austausch von unterschiedlichen kulturellen Standards kann ein Gewinn, oder aber Innovation und Kreativität für eine Stadtkultur entstehen. Es geht um die Schaffung innovativer Milieus (W. Siebel), wie das Beispiel Gründerzeitviertel zeigt. Keiner der Befürworter des Konzeptes "MG+" kann daran interessiert sein, allein Statistiken aufzuhübschen, sondern es geht darum, die Stadt als zukunftsfähige Gemeinschaft, als prosperierende Community voranzubringen.

Wer wollte heute schon auf Pizza, italienisches Eis, Thai-Massage, türkische Sauna aber auch Gyros, Tapas, Sushis und Döner und vieles Andere mehr verzichten? Hier sind die kulturellen Verschmelzungen der vergangenen Jahrzehnte am deutlichsten festzustellen und zumeist komplikationslos - oder? Schließlich bezeichnet sich die Vitus-Stadt (siehe MG 1.0) nach einem gebürtigen Sizilianer!

Andere Beispiele für Innovation und Kreativität gibt es in Mönchengladbach viele: Seien es die Niederrheinischen Sinfoniker, sie bestehen aus Mitgliedern vieler Nationen, oder unsere Borussia, die ohne Ausländer nicht mehr funktionieren würde und sicherlich nicht mehr bundesligatauglich wäre. Hinzu kommen die zahlreichen "fremden" Menschen, die sich in Mönchengladbach der bildenden Kunst verschrieben haben. Nicht mehr wegzudenken ist die moderne und modernste Kunst im Museum Abteiberg, dort wird die Dynamik mit moderner (fremder) Kunst professionell betrieben und den Mönchengladbachern behutsam nähergebracht.

Viele ökonomische Bereiche, Handwerker und Gewerbetreibende könnten ohne Zugewanderte oder Fremde nicht existieren. Interessant wäre zu erfahren, welche Betriebe noch funktionstüchtig wären ohne Menschen mit Migrationshintergrund, die die Stadt lieben gelernt haben. Nebenbei: Auch unzählige technische Innovationen sind uns zunächst "fremd" und unzugänglich. Lehnen wir diese deshalb grundsätzlich ab?

Übrigens hat es eine soziokulturelle Verschmelzung in Mönchengladbach (MG 2.0) in großem Umfang bereits gegeben. Zur Zeit der Industrialisierung, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, strömten Tausende Menschen hier in die ehemaligen Gemeinden und Dörfer, die heute Mönchengladbach bilden, um Arbeit und nicht nur eine auskömmliche Zukunft, sondern auch eine Lebensperspektive zu finden. Sie wandelten die beschauliche dörfliche Landschaft zu der einst pulsierenden Textilindustriegroßstadt Mönchengladbach um, mit zahlreichen neuen kulturellen Innovationen und qualitätsvollen Errungenschaften. Ohne die enorme Zuwanderung gäbe es Mönchengladbach in seiner heutigen Form nicht.

Die Konzepte "MG+" und "MG 3.0" sowie der vielfach geäußerte Wunsch nach städtischem Wachstum kommen da gerade richtig. Es könnte eine bedeutende Chance und Einzigartigkeit bedeuten, gelänge es, einen großangelegten Prozess durch mehr Bildung, Ausbildung, Weiterbildung sowie einer vertieften Kommunikation voranzutreiben und "MG+" zu realisieren - um so zu einer Koexistenz des Heterogenen (J.-L. Nancy) zu kommen. Schließlich ist die Arbeitslosigkeit in Mönchengladbach fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. "MG+ / Wachsende Stadt" ist ein wertvolles und gewinnbringendes Konzept, wenn es ernst genommen wird.

Der Text entstand im Zusammenhang mit dem Buchprojekt der Geschichtswerkstatt: "Zu- und Abwanderungen in Mönchengladbach", das im März 2018 im Klartext-Verlag erscheint. ISBN: 978-3-8375-1859-7.

(RP)
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